Istanbul
11 km langer und bis zu 400 m breiter Meeresarm, der die europäische Hälfte der Stadt durchschneidet. Haliç („Meerbusen“) nennen ihn die Türken. Von Gold keine Rede. Nur in der westlichen Welt bezeichnet man ihn als Goldenes Horn, und nur eine Legende weiß, warum: Angeblich haben die Byzantiner kurz vor der Einnahme Konstantinopels ihr Vermögen in den Meeresarm geworfen, damit es nicht den osmanischen Eroberern in die Hände fiel. Golden habe das Meer danach geschimmert. Sollte etwas Wahres dran sein, so liegen die Schätze heute meterdick begraben unter all dem Müll und Dreck, der über Jahrhunderte hinweg mit den Abwässern der Stadt ins Horn gespült wurde und es zu einer stinkenden Kloake werden ließ. Erst in jüngster Zeit hat sich die Wasserqualität verbessert, selbst Seepferdchen sollen sich hier wieder tummeln. Dazu trugen der Bau von Kläranlagen, der Niedergang der hiesigen Werften und Fabrikanlagen sowie die neue Galatabrücke bei, die einen besseren Wasseraustausch ermöglicht. Seit ein paar Jahren bemüht sich die Stadt zudem, rund um das Goldene Horn einen Grünstreifen mit Teegärten anzulegen.
Balat und Fener gelten zwar als islamisch-konservative Hochburgen, doch beginnt sich die Gesellschaftsstruktur in den zwei Stadtteilen langsam zu wandeln. Immer mehr junge, moderne İstanbuler entdecken dieses Eck. Wo sonst lässt es sich im Zentrum mit so viel Flair für so wenig Geld noch wohnen? Den alten Bewohnern, selbst einst zugezogene Anatolier, bereitet die Entwicklung einige Sorgen. Sie befürchten steigende Mieten und die Verdrängung an die Stadtränder.
An Fatih wird der Kelch der Gentrifizierung vorüberziehen – wer hier nicht wohnt, will hier auch nicht hin. Trist wirkt der Stadtteil, hässliche Betonblocks aus der Mitte des 20. Jh. prägen ihn. Das Gros der Frauen trägt hier wie auch in Balat und Fener ein Kopftuch, so manche ist gar bis auf Mund und Augen in Schwarz gehüllt. 184 Moscheen zählt der gesamte Stadtteil Fatih, so viel wie kein anderer. Aus dem farblosen Einerlei stechen lediglich die bunten Auslagen der Gemüsehändler heraus. Was sonst außer Moscheen gibt es hier zu besichtigen?
Balat, Fener und Fatih
Spaziergang
Wollen Sie in den Stadtteilen nicht negativ auffallen, tragen Sie dezente Kleidung.
Nach Fener , dem Ausgangspunkt des Spaziergangs, gelangt man am gemütlichsten bei einer kurzen Fahrt mit dem Schiff. In Eminönü westlich der Galatabrücke legen die Fähren im Stundenrhythmus ab. Die Brücke ist übrigens eine deutsch-türkische Koproduktion aus dem Jahr 1992. Ihre Vorgängerin, ein Werk von MAN, wurde in Gedichten gefeiert. Im Unterbau der Brücke dominieren Fischlokale, oben bevölkern Angler das Geländer. Die alte Galatabrücke verfrachtete man nach dem Bau der neuen Brücke in mehreren Teilen weiter gen Nordwesten. Ihre hellblauen Pontons dümpeln nun zwischen den Stadtteilen Balat und Hasköy bzw. Eyüp und Sütlüce im Goldenen Horn. Im Sommer finden diverse Festivitäten darauf statt.
Die Fährfahrt ist eine relaxte Begegnung mit der Stadt. Hektik und Trubel sind vergessen. Das Gewusel der Millionenmetropole bleibt zurück im aufsteigenden Häusermeer zu beiden Seiten des Goldenen Horns. Früher, als sich die Sultane in ihren reich verzierten Kajiken den Meeresarm hinauf- und hinunterrudern ließen, säumten weite Gärten mit prunkvollen Pavillons und Schlösschen die Ufer.
Hoch über der Anlegestelle von Fener zieht ein großer rötlicher Backsteinbau den Blick auf sich. Es ist nicht etwa das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat, sondern das Özel Fener Rum Lisesi , eine griechische Knabenschule.
Von Fener führt die Uferstraße gen Nordwesten in Richtung Balat. Dabei passiert man die graue neogotische Kirche St. Stephan von Bulgarien (Bulgar Kilisesi). 1898 wurde sie aus in Wien vorfabrizierten und über die Donau und das Schwarze Meer nach İstanbul geschipperten Gusseisenteilen zusammengeschraubt. Noch heute wird die rostige Kirche von der arg geschrumpften bulgarisch-orthodoxen Christengemeinde genutzt. Ihr Inneres ist durchaus sehenswert (tägl. 8–17 Uhr geöffnet, Eingang auf der Rückseite).
Nimmt man hinter der Kirche die erste Straße links, gelangt man in das dörflich wirkende Zentrum Balats . Beschaulich geht es zu, außer dienstags, wenn hier der Obst- und Gemüsemarkt stattfindet.
Kleine, einfache Läden säumen die Hauptgeschäftsstraßen. Im Wirrwarr der abgehenden Gassen stehen viele Häuser leer oder sind im Verfall
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