Italienische Novellen, Band 1
Fräulein, ist der Vorfall, den ich euch zu erzählen beabsichtigt habe. Nunmehr möge euch gefällig sein, euer Urteil abzugeben, wer größeres Lob edler ritterlicher Gesinnung verdient, Carlo, Angelica oder Anselmo?
Nachdem die Dame auf diese Weise ihre Erzählung zu Ende geführt hatte, wurde sie von allen Seiten sehr gelobt. Die drei Vorgenannten stimmten in den Schluß ein, es sei hier ein Beispiel der höchsten Seelengröße gegeben. Darum wandten sich alle Umstehenden gegen die drei jungen Damen und sagten: »Ihr habt gehört, mit welcher Ordnung der Fall erzählt worden ist, über welchen man euer einsichtiges Urteil vernehmen will. Schon seht ihr, daß nunmehr ein jeder zu sprechen anhebt; denn in der Tat, wenn ihr an Seele und Abkunft edel seid, müßt ihr offen beurteilen können, welche der vorangegangenen Handlungen man für einer wahrhaft edeln Seele am angemessensten halten muß; und wir werden alles, was wir durch euren Spruch befestigt erkennen werden, unbedenklich für wahr anerkennen.«
Den drei hochedeln Fräulein flog eine leichte Röte sittsamer Beschämung über das Gesicht, und sie antworteten, es gezieme sich nicht für ihr zartes Alter, einen Spruch zu fällen über eine so schwierige und zweifelhafte Untersuchung. Nichtsdestoweniger seien sie, da es so von ihnen versprochen gewesen, zufrieden, ihr geringes Urteil hierüber abzugeben. Sie beredeten sich daher untereinander, jede ermahnte die andere, anzufangen mit dem Gespräche; es erhob sich dabei ein höchst anmutiger, artiger Streit, indem jede sich mit aller Macht bemühte, ihren Genossinnen die Ehre zu lassen und durch Namhaftmachung größerer Tugenden zu erweisen, daß eine der andern vorgehen müsse.
(Den weiteren Verlauf der langen Disputation übergehen wir hier als nicht notwendig zu der Novelle gehörig.)
Masuccio
Um 1465
Der unschuldige Mörder
Zur Zeit des hochseligen Königs Don Ferrando von Aragon glorreichen Andenkens, der das Zepter des Königreichs Kastilien mit ruhigem Regimente führte, war in Salamanca, der alten und sehr edeln Stadt dieses Königreichs, ein Minoritenmönch namens Magister Diego von Revalo, der nicht minder in der thomistischen als in der scotischen Lehre unterrichtet war und darum aus den übrigen erlesen und mit einer nicht unbedeutenden Belohnung bestellt wurde, in den würdigen Hörsälen der berühmten Hochschule derselben Stadt Vorlesungen zu halten. Damit setzte er sich in einen wunderbaren Ruf und machte seine Wissenschaft bekannt durch das ganze Reich; überdies hielt er manchmal auch kleine Predigten, die mehr nützlich und notwendig als fromm waren. Da er aber jung, ziemlich schön und sehr lustigen Sinnes, darum den Liebesflammen ausgesetzt war, geschah es, daß ihm eines Tages während der Predigt ein ganz junges Weib von wunderbarer Schönheit auffiel, namens Donna Cattarina, die Gattin eines der vornehmsten Ritter der Stadt mit Namen Misser Roderico Dangiagia. Als der Magister sie sah, gefiel sie ihm auf den ersten Blick, und Herr Amor gab ihm zugleich mit dem Bilde der Frau die Liebeswunde in sein schon beflecktes Herz. Von der Kanzel herabgestiegen ging er in seine Zelle, warf alle theologischen Gründe und sophistischen Beweise in eine Ecke und gab sich ganz den Gedanken an das holde junge Weib hin. Und obgleich er die Vornehmheit der Frau wohl kannte und wußte, wessen Gattin sie war, und welche Tollheit er unternehmen würde, er sich auch oft zu überreden suchte, diesen Weg nicht einzuschlagen, so sprach er doch manchmal zu sich: »Wo Amor seine Gewalt äußern will, da sucht er niemals Gleichheit des Blutes; denn wenn diese erforderlich wäre, würden große Fürsten nicht beständig auf Prisen an unsern Küsten ausgehen. Denselben Freibrief nun muß Amor uns erteilt haben, hohe Minne zu fühlen, da er ihnen zugesteht, sich so tief herabzulassen. Die Wunden, welche Amor schlägt, empfängt keiner mit Vorbedacht, sondern unversehens; wenn mich daher dieser Gewaltige wehrlos überrascht hat, so hilft es nichts, sich gegen seine Schläge zu verteidigen; da ich nicht Widerstand leisten kann, werde ich mit allem Recht besiegt, und so geschehe mir denn als seinem Untertanen, was da will, – ich will den harten Kampf bestehen; und folgt der Tod, – nun, so werde ich erlöst von aller Pein, und wenigstens von dieser Seite geht mein Geist mit hoher Stirn einher, daß er seine Strebungen nach einer so erhabenen Stelle zu richten gewagt hat.«
Nach diesen Worten wandte er sich
Weitere Kostenlose Bücher