Italienische Novellen, Band 1
schrie er laut: »Auf den Dieb! Auf den Dieb!« und alle Mönche liefen herbei. Sie faßten ihn, öffneten die Tore, und viele verschiedne Laien kamen heran. Der arme Liebende, obgleich er in erbärmlichste Lumpen gehüllt war, wurde sofort als Mariotto Mignanelli erkannt, und bevor Tag wurde, war ganz Siena erfüllt davon, daß er dort festgehalten wurde.
Als die Neuigkeit an den Stadtrat kam, befahl er dem Stadtvogt, daß er nach ihm ginge und schnell ausführe, was die Gesetze und die Verfassung befahlen. So wurde er ergriffen und gefesselt zum Gerichtsgebäude gebracht. Er wurde gefoltert und bekannte, da er nicht vielen Qualen ausgesetzt sein wollte, genauestens den Grund seines verzweifelten Wiederkommens. Obwohl man allgemein mit ihm das größte Mitgefühl hatte und die Frauen bitterlich unter sich weinten, da sie in ihm der Welt einzigen vollkommenen Liebhaber sahen und jede ihn mit ihrem eignen Blut freigekauft hätte, so wurde er nichtsdestotrotz vom Gerichte verurteilt, am nächsten Morgen den Kopf zu verlieren. Und so wurde es zu der bestimmten Zeit ausgeführt, ohne daß er sich von Freunden oder Verwandten konnte schützen lassen.
Die unglückseligste Ganozza gelangte unter der Führung des genannten Fraters nach mehreren Monaten und nach vielen und mannigfaltigen Mühseligkeiten nach Alexandria. Sie begab sich in das Haus des Herrn Nikolaus, dem sie sich bekannt machte und sagte, warum und weshalb sie gekommen sei, und alles erzählte, was ihr begegnet war. Dieser war zur gleichen Zeit erfüllt von Staunen und Bedauern, nahm sie in Ehren auf, ließ sie als Frau kleiden und verabschiedete den Mönch. Dann sagte er der vom Schicksal geschlagenen jungen Frau, wie und in welcher Verzweiflung über die erhaltene Nachricht ihr Mariotto, ohne ihm irgendein Wort zu sagen, abgereist war, und wie er ihn als Toten beklagt habe, da er nur um zu sterben fortgegangen sei. Ob dieser neue große Schmerz der Ganozza wirklich alles, was ihr und ihrem Geliebten bisher widerfahren, übertraf, wenn man alles in Betracht zieht, das möge bedenken jeder, der denken kann und muß; nach meinem Urteil jedoch wäre alles Reden darüber unzulänglich. Als sie wieder zu sich gekommen war, beriet sie sich mit ihrem neuen Vater, und sie vergossen brennende Tränen über den verschiedensten Gesprächen; sodann wurde beschlossen, daß Herr Nikolaus und sie auf schnellstem Wege nach Siena gehen sollten, um mit den Mitteln, die nur in letzter Not erlaubt waren, wenigstens die Ehre der Frau zu retten, mochten sie Mariotto lebend oder tot auffinden. Die Geschäfte wurden so wenig schlecht wie möglich übergeben, die Frau in einen Mann verkleidet, es fand sich eine gute Überfahrt, und so segelten sie mit günstigem Winde. Bald kamen sie an die toskanischen Gestade, stiegen in Piombino an Land und begaben sich von dort heimlich nach einem Landgut des Herrn Nikolaus bei Siena.
Wie sie nach den Neuigkeiten fragten, erfuhren sie, daß ihr Mariotto drei Tage vorher enthauptet worden war. Als sie die gräßliche Nachricht erhalten hatten, blieben sie, obwohl sie es immer schon für gewiß gehalten, nichtsdestoweniger, da es nunmehr unumstößliche Tatsache geworden, beide und jeder für sich wie tot und völlig niedergeschlagen, woraus man entnehmen kann, in welchem Maße schrecklich das Begebnis war. Die Klagen und das heftige Wehgeschrei Ganozzas waren so leidenschaftlich, daß sie ein Marmorherz zum Mitleid gerührt hätten. Vom Herrn Nikolaus wurde sie unablässig getröstet und voller Mitgefühl klug beraten. So faßten sie den Entschluß, nach solchem Verlust nur noch an die Ehre der großen Verwandtschaft zu denken und zu erlangen, daß die Ärmste sich heimlich in ein sehr frommes Kloster einschlösse, um dort ihr Unglück, den Tod des teuren Liebsten zusammen mit ihrem Elend bitterlich zu beweinen, solange ihr noch Leben zugestanden sei. So wurde es sehr behutsam gemacht und vollständig verwirklicht; sie gab dort niemandem, es sei denn der Äbtissin, irgendeine Auskunft über sich und beendete unter inneren Schmerzen und blutigen Tränen, bei wenig Speise und ohne Schlaf, ihren Mariotto ständig anrufend, in kürzester Zeit ihre elenden Tage.
Der Barkenführer
Vor einigen Jahren lebte in Venedig ein junger Edelmann namens Herr Alessandro, welcher lustwandelnd zufällig eine sehr schöne junge Frau erblickte, die die Gattin eines Seemanns war mit Namen Rado von Cattaro; und da sie ihm sehr wohl gefiel, schickte er ein altes
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