Italienische Novellen, Band 1
den Knaben, was er begehre. Darauf antwortete der Knabe: »Ihr sollt so schnell Ihr könnt nach Hause kommen, denn vor zwei Stunden hat Eure Mutter ein großes Unglück gehabt, und sie ist halbtot. Deswegen kommt nur bald!«
Filippo stellte sich an, als wäre er heftig betrübt über diesen Unfall, und rief: »Gott steh' mir bei!«
Damit nahm er Abschied von dem Dicken. Der Dicke sagte teilnehmend: »Ich will mit dir gehen, im Fall du etwas nötig hast. Das sind Fälle, in denen man seine Freunde nicht schonen muß.«
Filippo bedankte sich und sprach: »Ich nehme dich jetzt nicht mit; aber wenn ich etwas brauche, so will ich es dir sagen lassen.«
Filippo ging und schlug anscheinend den Weg nach seiner Wohnung ein, bog aber um und begab sich nach dem Hause des Dicken, das der Kirche der Santa Reparata gegenüberlag. Er öffnete die Tür mit einem Messerchen, ein Verfahren, das er gut verstand, trat ins Haus und schloß sich innen mit dem Riegel so fest ein, daß niemand hineingelangen konnte. Der Dicke hatte eine Mutter, die dieser Tage nach Polverosa gegangen war, wo sie ein Gütchen besaß, um dort eine Wäsche zu veranstalten; sie konnte jeden Tag zurückkommen.
Der Dicke ging, nachdem er seine Bude geschlossen hatte, seiner Gewohnheit nach einigemal auf dem Platze San Giovanni auf und ab, den Kopf mit Gedanken an Filippo erfüllt und von lauter Mitleid mit dessen Mutter. Eine Stunde nach Sonnenuntergang sagte er bei sich selbst: »Nun bedarf Filippo heute meiner doch nicht mehr, da er noch immer nicht nach mir geschickt hat.« Er beschloß also, nach Hause zu gehen; und als er vor seiner Tür, zu der man zwei Stufen in die Höhe trat, angelangt war und wie sonst aufschließen wollte, gelang es ihm nach mehrmaligen Versuchen nicht. Da merkte er, daß von innen der Riegel vor sei. Er klopfte an und rief: »Wer ist denn oben? Mach mir auf!«
Er war der Meinung, seine Mutter sei vom Dorfe zurückgekommen und habe die Tür aus irgendwelcher Vorsicht oder in Gedanken von innen geschlossen. Filippo, der drinnen war, trat an die Spitze der Treppe und sagte: »Wer ist unten?« Dabei ahmte er die Stimme des Dicken nach. Dieser aber entgegnete: »Mach mir auf!«
Filippo tat, als halte er den Pochenden für jenen Matteo, in den sie den Dicken glauben machen wollten, daß er verwandelt sei; sich selbst aber stellte er als den Dicken dar und sagte: »Ei, Matteo, geh mit Gott! Ich bin heute gar nicht aufgelegt, denn eben war Filippo di Ser Brunellesco in meiner Bude, und da wurde ihm gemeldet, seine Mutter sei seit zwei Stunden am Tode. Das hat mich für den ganzen Abend betrübt gemacht.«
Und nach innen gewendet fügte er hinzu: »Monna Giovanna (denn so hieß die Mutter des Dicken), macht, daß ich zu essen bekomme! Es ist doch gar zu arg: vor zwei Tagen solltet Ihr schon wieder da sein und kommt nun erst heute nacht!«
So sagte er noch einige verdrießliche Worte und ahmte dabei immer die Stimme des Dicken nach. Als der Dicke so rufen hörte und dabei doch seine eigene Stimme zu vernehmen glaubte, sagte er: »Was heißt denn das? Kommt es mir doch vor, der da droben sei ich, der da sagt, Filippo sei in seiner Bude gewesen, als man ihm ankündigte, seine Mutter befinde sich nicht wohl. Und überdies schwatzt er mit Monna Giovanna. Wahrhaftig, ich bin ganz von Besinnung.«
Er trat die beiden Stufen wieder hinab und stellte sich zurück, um zu den Fenstern hinaufzurufen. Da kam verabredetermaßen einer namens Donatello hinzu, ein Marmorbildhauer und guter Freund des Dicken; und wie er so in der Dämmerung vorüberging, sagte er: »Guten Abend, Matteo! Suchst du den Dicken? Er ist gerade eben ins Haus hineingegangen.«
Nach diesen Worten ging er seiner Wege. War nun der Dicke vorher voll Verwunderung, so stand er nun, wie er hörte, daß Donatello ihn Matteo nannte, ganz verblüfft und ging wieder auf den San Giovanniplatz, indem er zu sich sagte: »Ich will so lange hier bleiben, bis jemand vorbeigeht, der mich kennt, und mir sagen kann, wer ich eigentlich bin. Bin ich denn Calandrino, daß ich so geschwind ein anderer geworden bin, ohne es zu merken?«
Und während er so halb von Sinnen dastand, kamen nach Abrede vier Diener des Handelsgerichts nebst einem Notar und mit ihnen ein Gläubiger jenes Matteo, für welchen der Dicke schon auf dem besten Wege war sich zu halten. Der Gläubiger trat dicht zum Dicken heran, wandte sich zu dem Notar und den Bewaffneten und sagte: »Führt mir hier den Matteo hinweg! Dieser
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