Italienische Novellen, Band 1
Unmittelbar nach der Vermählung wurde Handwasser herumgereicht; oben an den Tisch setzte man die Braut, ihr zur Rechten an der Seite kam Herr Timbreo, ihm gegenüber Belfiore, auf die sodann der Ritter Girondo folgte, und auf diese Weise ging es in bunter Reihe abwärts. Es kamen köstliche und aufs schönste geordnete Speisen; das ganze Gastmahl war prachtvoll und ruhig und aufs beste bedient. Gespräche, Scherze und tausend andere Unterhaltungen fehlten nicht. Als nun zuletzt die Früchte, die die Jahreszeit bot, herumgereicht wurden und Fenicias Tante, die fast das ganze Jahr über auf dem Lande bei ihr gewesen war und bei Herrn Timbreo am Essen saß, sah, daß das Gastmahl zu Ende ging, fragte sie scherzend ihren Nachbar, als hätte sie nie etwas von den früheren Vorfällen vernommen: »Herr Bräutigam, seid Ihr nie vermählt gewesen?«
Auf diese Frage aus dem Munde einer solchen Frau füllten sich seine Augen mit Tränen, welche herabfielen, ehe er noch antworten konnte. Dessenungeachtet überwand er die Weichheit seiner Natur und sagte: »Frau Tante, Eure gütige Frage erinnert mich an einen Gegenstand, der mir stets im Herzen lebt, und um dessenwillen ich bald meine Tage zu beschließen glaube. Denn wiewohl ich mit Frau Lucilla völlig zufrieden bin, so empfinde ich doch um einer andern willen, die ich liebte und noch jetzt nach ihrem Tode mehr als mich selber liebe, einen ununterbrochenen und so schmerzlichen Herzenskummer, daß ich fühle, wie er allmählich den Faden meines Lebens zernagt, da ich höchst pflichtwidrig Veranlassung zu ihrem bittern Tode geworden bin.«
Herr Girondo wollte ihm in die Rede fallen; er wurde jedoch lange Zeit von Schluchzen und einem reichlich hervorstürzenden Tränenstrom verhindert. Am Ende sagte er mit halberstickter Stimme: »Ich, mein Herr, ich bin der strafbare Urheber und Vollstrecker des Todes der unglücklichen Jungfrau, deren seltene Vorzüge sie eines längeren Lebens so würdig machten; Ihr habt nicht die mindeste Schuld daran.«
Über diese Reden begannen auch der Braut die Augen sich mit einem Tränenregen zu füllen im Andenken an ihr vergangenes bitteres Leiden. Die Tante der Braut fuhr dann fort und richtete folgende Frage an den Neffen: »Ach, Herr Ritter, seid doch so gut, da das Geschehene nun nicht zu ändern ist, erzählt mir doch das Ereignis, das Euch und diesen andern ehrenwerten Herrn noch gegenwärtig in solche Rührung und Tränen versenkt!«
»Wehe mir«, antwortete Herr Timbreo, »Ihr verlangt, Frau Tante, daß ich den verzweifeltsten und grausesten Schmerz erneuere, den ich noch je erlitten habe, und der mir schon, wenn ich im entferntesten daran denke, alle Kraft und alles Bewußtsein entzieht. Indessen will ich, Euch zu Gefallen, Euch meinen ewigen Schmerz und die Schande meiner Leichtgläubigkeit ausführlich erzählen.« Er hub nun an, von Anfang bis zu Ende nicht ohne die heißesten Tränen und unter der innigsten Teilnahme und Verwunderung der Zuhörer die betrübliche Geschichte vorzutragen. Als er geendet hatte, sprach die Matrone zu ihm: »Ihr erzählt mir da eine wundersame, furchtbare Geschichte, Herr Ritter, dergleichen wohl noch nie auf Erden vorgekommen ist. Aber sagt mir, so wahr Gott Euch helfe, wenn ich Euch, bevor Ihr Euch diesem Fräulein verlobtet, Eure erste Geliebte wieder hätte auferwecken können, was würdet Ihr getan haben, um sie wieder ins Leben zu bekommen?«
Herr Timbreo erwiderte unter Tränen: »Ich schwöre bei Gott, gnädige Frau, ich bin sehr zufrieden mit meiner jetzigen Gemahlin und hoffe es in kurzem noch mehr zu werden; aber hätte ich vorher die Gestorbene wiederkaufen können, so hätte ich die Hälfte meines Lebens hingegeben, um sie wiederzubekommen, außer all dem Geld, das ich während desselben ausgegeben haben würde; denn ich liebte sie so aufrichtig, als nur ein Mann eine Frau lieben kann, und wenn ich tausend und abertausend Jahre dauerte, werde ich sie, tot wie sie ist, immer lieben und aus Liebe zu ihr alle ihre Verwandten stets lieb und wert halten.«
Hier vermochte nun Fenicias getrösteter Vater nicht länger die Freude seines Herzens zurückzuhalten, und er sagte, zu seinem Eidam gewandt, vor überströmender Wonne und Rührung weinend: »Mein Sohn und Eidam, denn so darf ich Euch nennen, Eure Werke vollbringen nicht, was Eure Worte besagen; denn Ihr habt Euch mit Eurer so innig geliebten Fenicia vermählt, habt den ganzen Morgen an ihrer Seite zugebracht – und kennt sie noch
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