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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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kennt, erlaubte ihnen nicht,
das zu tun, was sie wünschten. In dieser unangenehmen Lage half ihnen der
Zufall und erleichterte wenigstens für einen Augenblick das schwere Schweigen,
das sie bedrückte. Im Dunkel hörte man die Stimmen zweier Spaziergänger, die
langsam einhergingen und hier neben der Kapija, hinter der scharfen Ecke,
haltmachten, so daß sie Stikowitsch und Glasintschanin von ihren Plätzen auf
dem Sofa ebensowenig sehen konnten wie diese sie. Aber sie hörten jedes Wort,
und diese Stimmen waren ihnen wohl bekannt. Es waren zwei ihrer etwas jüngeren
Kameraden, Toma Galus und Fehim Bachtijarewitsch. Diese beiden hielten sich
etwas abseits von jener Gruppe, zu der die große Mehrheit der Schüler und
Studenten gehörte und die sich jeden Abend auf der Kapija um Stikowitsch und
Herak versammelte, denn obgleich jünger, war Galus als Dichter und nationaler
Redner Stikowitschs Rivale, den er nicht liebte und schätzte, und Bachtijarewitsch
war ungewöhnlich schweigsam, stolz und zurückhaltend, der echte Patriziersohn.
    Toma Galus war ein hochgewachsener
junger Mensch mit roten Wangen und blauen Augen. Sein Vater, Alban Galus (Alban
von Gallus), der letzte Sproß einer alten burgenländischen Familie, war sofort
nach der Besetzung als Beamter in die Stadt gekommen. Hier war er einige
zwanzig Jahre »Forstrat« gewesen, und nun lebte er in der Stadt als Pensionär.
Gleich zu Anfang hatte er hier die Tochter eines der angesehensten Bürger der
Stadt, des Hadschi Toma Stankowitsch, ein nicht mehr ganz junges und kräftiges
Mädchen, mit dunklem Gesicht und starkem Willen, geheiratet. Mit ihr hatte er
Kinder gezeugt, zwei Töchter und einen Sohn, die alle in der serbischen Kirche
getauft waren und als wahre Wischegrader Kinder und Hadschi Tomas Enkel
aufwuchsen. Der alte GaIus, ein großer und einstmals schöner Mann mit einem
vornehmen Lächeln und dichtem, völlig weißem Haar, war schon seit langem ein
echter Wischegrader, »Herr Albo«, geworden, bei dem die jüngeren Leute
überhaupt nicht auf den Gedanken kamen, er könne ein Fremder und Zugezogener
sein. Er hatte zwei Leidenschaften, die niemand störten, die Jagd und die
Pfeife. Im ganzen Landkreis hatte er sowohl unter den Christen als auch unter
den mohammedanischen Bauern, mit denen ihn die Jagdleidenschaft verband, gute
Freunde. Als sei er mit ihnen geboren und aufgewachsen, hatte er viele ihrer
Eigenschaften angenommen, besonders jene Art fröhlichen Schweigens und ruhigen
Gesprächs, die so kennzeichnend ist für Menschen, die starke Raucher sind und
Jagd, Wald und das Leben im Freien lieben.
    Der junge Galus hatte in diesem
Jahre in Sarajewo sein Abitur gemacht und sollte zum Herbst nach Wien auf die
Universität kommen. Was die Frage seines Studiums betrifft, ist die Familie
geteilter Meinung. Der Vater hätte gewünscht, daß sein Sohn Technik oder
Forstwesen studiere, der Sohn aber wollte auf die philosophische
Fakultät. Denn dieser junge Galus war nur in seinem Äußern das Ebenbild des
Vaters, doch alle die ihm angeborenen Neigungen bewegten sich in völlig
entgegengesetzter Richtung. Er war einer jener guten, in allem sittsamen und
musterhaften Schüler, die mit Leichtigkeit und wie nebenbei alle Prüfungen
bestehen, aber ihr ganzes eigentliches und aufrichtiges Interesse ihren etwas
absonderlichen und ungeordneten geistigen Neigungen außerhalb der Schule und
ihres amtlichen Programms widmen. Das sind jene Schüler heiteren und
einfältigen Herzens, aber unruhigen und wissensdurstigen Geistes. Ihnen sind
jene schweren und gefährlichen Krisen des Sinnes- und Gefühlslebens, die so
viele junge Menschen ihres Alters durchmachen, fast unbekannt, dafür aber
finden sie nur schwer Beruhigung ihrer geistigen Unrast und bleiben sehr häufig
das ganze Leben lang Menschen, die von allem etwas können, unterhaltsame
Sonderlinge ohne bleibende Leistung und ohne jegliche festgelegte Richtung. Wie
jeder junge Mensch nicht nur die ewigen natürlichen Forderungen der Jugend und
des Heranreifens erfüllen, sondern daneben auch den zeitgenössischen
Geistesströmungen, ja sogar der Mode und den Gewohnheiten seiner Zeit, die
gerade unter der Jugend herrschen, seinen Zoll zahlen muß, so schrieb auch
Galus Verse und war aktives Mitglied revolutionärer nationaler Schülerorganisationen.
Daneben hatte er fünf Jahre lang Französisch als wahlfreies Fach gelernt, sich
mit Literatur und besonders mit Philosophie beschäftigt. Er war ein
leidenschaftlicher

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