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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Sie den Tausenden Lebewohl. Der junge
    Herr kann sich nicht zum Verkaufen entschließen.
    Das Mitleid hat ihm ein solches Loch in die Tasche
    gerissen, daß eine Million durchgefallen ist. Wo in aller Welt würde er dann kleine dreitausend hinstek-
    ken? Sir! Aber trösten Sie sich, guter Mister Trumpet, trösten Sie sich. Unser Freund ist vielleicht ein Narr, aber kein kleiner. Er ist der größte Narr, den ich je die Ehre hatte zu kennen: Sir?«
    Mister Thompsons Worte dröhnten so in meinen
    Ohren, daß ich mich kaum selber hörte, als ich Mi-
    ster Fared und den Schmieden zurief: »Laßt sie alle frei! Bis auf den letzten Mann! Laßt auch sie zurück in die Heimat. Wir wollen wenigstens den Fliegen das Nachsehen geben.«
    Dann wandte ich mich an Mister Trumpet und
    fragte ihn, da ich wieder ein armer Schlucker war, ob er mir die Passage nach Hause bezahlen wollte.
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    Da war es denn, daß der befreite Lord Sheringham
    die Güte hatte zu lächeln, und die Güte, mir die
    Hand auf die Schulter zu legen, und ich hatte die Gü-
    te, sie dort wegzuschlagen.
    Das allerletzte, das ich wollte, war Mitleid. Besser die haßerfüllte Wut der Kapitäne. (»Verrückter kleiner Idiot. Sollte ein Gesetz geben, sollte man verhindern –«), die Verachtung von Mister Fared und Sir
    Joseph, die Enttäuschung von Mister Trumpet und
    der tiefe, schwarze Kummer von Mister Thompson
    … Besser all das und mehr noch als das Mitleid von
    dem, den ich gerettet hatte.
    Alle schienen nun von mir wegzuschmelzen, denn
    da ich nichts mehr zu sagen oder zu geben hatte, war ich nicht mehr als ein schlechter Geschmack in ihrem Gedächtnis: der Narr, der den Fuß durch die Eier-schale ihrer Reichtümer gestoßen hatte.
    Und wofür? Für Lord Sheringhams Mitleid, sechs-
    hundert flüchtige »Dankeschön« und einen Korral,
    der sich schnell von seinen Sklaven leerte.
    Lord Sheringham sah mich neugierig an. Dann
    sprach er zu dem Pygmäen, der nicht von seiner Seite gewichen war. »Shem, das ist Jack, von dem ich dir
    erzählt habe. Du und er habt viel Gemeinsames, finde ich, da ihr, jeder zu seiner Zeit, ähnlich gehandelt habt.«

    Nach diesem, der mein größter Augenblick hätte sein sollen, aber irgendwie bitter geworden war, gingen
    wir langsam und leer zum Hafenkai: zu Mister
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    Thompson, um für meine Erwerbung einen Anzug zu kaufen, und zu Kapitän Farmer für eine Passage in
    die Heimat.
    Lord Sheringham und Mister Trumpet gingen vor-
    an und sprachen leise über den Tod von Mister Mor-
    ris. Ab und zu blickten sie zurück, ob ich ihnen noch folgte – obwohl schwer zu begreifen ist, warum sie
    sich die Mühe machten, da ich nichts mehr hatte, um es zu vergeuden, außer meinem Leben. Shem, der
    Pygmäe, dessen Kopf mir nicht bis an die Schulter
    reichte, ging stumm neben mir her und hielt die Au-
    gen mit gewohntem Ernst gesenkt. Die anderen wa-
    ren alle fort: Mister Fared mit dem portugiesischen Kapitän – und Sir Joseph war Kapitän Farmer auf
    den Fersen.
    In Mister Thompsons muffigem Laden reichten
    zehn Pfund recht weit, um den großen Richter wieder in einen Gentleman umzuwandeln, obwohl ich persönlich fand, daß das Geld sinnlos ausgegeben wur-
    de. Mit der Hälfte hätte man das gleiche erreichen
    können, aber seine Lordschaft hatte eine verschwen-
    derische Strähne in seinem Charakter und wählte so
    teuer, wie er konnte. Der arme Mister Trumpet, der
    dafür bezahlte (Lord Sheringham hatte kurzsichtig-
    erweise seinen Schatz im Wald fallenlassen, als er ge-fangengenommen wurde), der arme Mister Trumpet
    ging nach draußen, um sich zu schonen. Aber er ging auch, um unsere Passage auf Kapitän Farmers Schiff
    zu sichern.
    Das kostete ihn einen guten Teil seiner zweihun-
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    dert Guineas, doch er trug es mit guter Miene und tat so, als hätte er ein Geschäft gemacht. (Er hielt es stets für unehrenhaft, übers Ohr gehauen zu werden, fast
    schon beschämend.)
    Dann am späten Nachmittag, nach einer Mahlzeit
    von seltsamem Fleisch und Madeirawein mit Mister
    Thompson (geschenkt, Gott sei Dank, sonst hätte es
    uns ein Vermögen gekostet) gingen wir an Bord der
    Lady Jane, einem Schiff, das etwas größer war als
    die Charming Molly und sechzehn Kanonen hatte,
    die so blank geputzt waren, wie Mister Morris nur
    hätte wünschen können.
    Lord Sheringham war ein bißchen enttäuscht, daß
    sein Freund Shem ohne große Abschiedszeremonien
    davongegangen war, aber ich dachte, daß er den Ver-
    lust verschmerzen

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