Jack Holborn unter den Freibeutern
Meine Absichten waren nicht die ihren.
Wo war er angekettet? Wo wartete er? Nicht weit
– unten in diesem Korridor der Katastrophen …
»Verkaufen! Verkaufen, Junge!«
Am Ende des Ganges. Gott sei Dank. Der ging
nicht weiter. Er kam nicht auf mich zu, um mich lä-
chelnd und mit offenen Armen zu begrüßen, weil er
noch an die Stelle gekettet war. Er blieb, wo er war und kümmerte sich um seinen Nachbarn, den Pygmäen, der schließlich ein Wunder war – und selten.
Aber ich hatte es getan! Ihn gefunden! Ihn gerettet!
Ja, ihn mit Haut und Haar gekauft. Mußte dafür eine Million bezahlen. War mit sechshundert Extras be-bürdet. Aber er war erhalten!
»Ist er das, junger Herr? Ist das Ihr Herzenswunsch?
Überhaupt nicht der Pygmäe? Aha! Ich hatte mir ge-
dacht, daß er irgend jemand lieb sein würde. Großartig, großartig. In guter Verfassung … ein bißchen dünn
– vielleicht von Sorgen? Aber er wird Speck ansetzen
… das tun sie immer. Und die Peitschenstriemen wer-
den verblassen … das tun sie immer. Ibram Fared hält sein Versprechen. Ein Handel ist geschlossen, besiegelt und vollendet.
198
Heda, Schmiede! Kommt schnell und befreit dem
jungen Herrn seinen Freund. Sie wollen ihn doch frei, junger Herr?« (ängstlich) »Oder vielleicht wollen Sie ihn in Ketten? Läßt sich machen. Kann ihn trennen
und ihn in Ketten lassen. Patente Vorrichtung. Klug.
Nehmen Sie ihn gekettet und entscheiden Sie sich in Ruhe: befreien oder nicht befreien. Sehen Sie, wie er sich auf die Lippen beißt. Ein bißchen Spaß für Ihr Geld … um Ihres Reichtums willen, gönnen Sie sich
einen kleinen Spaß!«
Ich stand stockstill und starrte. Verblüfft. Erstaunt.
War das der Mann, zu dessen Rettung ich gekommen
war? Verschwunden war das Fischauge. Er blickte zu
mir auf, nicht dankbar, nicht erfreut: nichts sonst als
– zornig. Scharf, kalt, ungläubig zornig. Dieser undankbare Lord blickte finster. Nachdem ich so viel
gegeben hatte, um ihn zu retten.
»Ich habe Sie gekauft«, brabbelte ich, und mir war
plötzlich übler zumute als je zuvor. (Ich muß
wahnsinnig gewesen sein. Wahnsinnig! Aber alles
schien so richtig und klar –)
»Ja«, sagte er und streckte die Hände aus, um die
Ketten abnehmen zu lassen. »Und man hat dir zuviel
abverlangt.«
»Das glaube ich auch«, sagte ich und dachte an
meinen verlorenen Schatz und alles, was ich damit
hätte machen können.
»Armer Junge … armer Junge …« hörte ich Mister
Thompson seufzen, und Mister Trumpets Atem kam
und ging wie eine Feueresse.
199
Die Ketten wurden über einen Stein gespannt, und
bevor der Hammer fiel, fragte er: »Bist du sicher, daß du mich frei haben willst, Jack? Denke gut nach. Mister Fared meint, es sei besser, mich ein bißchen zappeln zu lassen. Und warum eigentlich nicht?«
Ich schüttelte den Kopf und wandte mich ab, wäh-
rend der Hammer sechs-, siebenmal zuschlug: bis er
frei war.
»Möchtest du die anderen an Bord verladen lassen?«
hörte ich seine verdammte Stimme fragen. »Oder be-
absichtigst du, sie wieder zu verkaufen? Wenn du das willst, bitte ich um eine Vergünstigung. Rette meinen Freund Shem – den Pygmäen. Das ist alles, worum ich bitte. Erspare ihm die Schande, verkauft zu werden.«
(Das ist alles, wie? Das ist alles! Keine sonstigen Kleinigkeiten wie die Sonne für seinen Ringfinger,
den Mond für seine Uhrkette?)
»Komm, Junge, entscheide dich. Wenn wir laden
wollen, müssen wir’s jetzt tun«, sagte Kapitän Far-
mer brüsk. »Wenn du verkaufen willst, verkaufe
gleich.«
»Entscheide dich, Jack.«
»Was hattest du mit ihnen vor, Jack? Du mußt doch eine Vorstellung gehabt haben?«
Vorstellung? Ja, vielleicht. In meinem Geistesblitz.
Da waren keine Fragen offengeblieben. Alles war ge-
löst. Aber dieser Blitz war lange vergangen, und ich hatte davon nur noch die ausgebrannte Ruine. Was
war zu tun? Was hatte ich vorgehabt? Mich auf den
Westindischen Inseln mit meinen kräftigen Sechshun-
200
dert als Farmer niederzulassen? Sie wieder zu verkaufen? Sie mit mir in die Heimat zu nehmen? Weiß der
Himmel!
»Mache deinen Verlust wieder etwas wett, Junge.
Verkaufe!«
»Komm, Jack. Verkaufe, dann hast du’s hinter dir.
Verliere wie ein Mann, und wir fahren alle nach
Hause.«
Das war Mister Trumpets Rat. Dann zupfte Mister
Thompson, der mich genau und traurig während des
ganzen Trubels des Drängens und Versuchens ange-
sehen hatte, Mister Trumpet beiseite.
»Sagen
Weitere Kostenlose Bücher