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Jack Holborn

Jack Holborn

Titel: Jack Holborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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Postkutsche nach London nehmen.
    »Dann bleiben wir also zusammen?« fragte »Mister Rogers« ein wenig überrascht.
    »Bis London – bis London. Das ist unser Zentrum. Das ist das Herz unserer Welt. Da haben wir alle angefangen: da müssen wir alle enden.«
    »Enden?«
    »Unsere Bekanntschaft. Abschied nehmen. Uns trennen. Auseinandergehen. Sie nach London, ›Mister Rogers‹, um Ihr Leben wiederaufzunehmen, um seine Löcher zu stopfen, es aufzuschönen, wo es fadenscheinig geworden ist, es zu beleben, wo’s verfault ist. Ich nach London, der Geschäfte wegen –« Er lächelte, und ich sah, daß er eine Weile in Träume versank, wie er alte Freunde überraschte und alte Feinde erstaunte, wie er teure Juwelen vor aufgerissenen Augen glitzern ließ – wie Salomon in die eigene Trompete stieß.
    »Ja … geschäftehalber. Und Jack –«
    »Was ist mit Jack?«
    (Das war nicht ich, der fragte, sondern »Mister Rogers«. Scharf. Besorgt. Besorgt um einen Jungen, der in London losgelassen war.)
    »Jack nach London, weil er –«
    »Weil er ein Londoner Jung’ ist!« Das war lachhaft, und ich erwartete, daß er wieder sagen würde »Nichts ist mir lieb wie ein Lond’ner Jung.« Aber das tat er nicht, und man ließ es dabei. Ich nach London, weil ich ein Lond’ner Jung’ war. Ein ausreichender Grund. Jede Maus in ihr Loch, jeder Schorf auf seine Wunde, jede Leiche in ihr Grab.
    Um halb elf gingen wir hinauf in unser Bett; ein Zimmer für uns drei. Obwohl wir für den unabhängigen Hafen N-. gut genug gekleidet waren, waren wir für Weymouth ziemlich klägliche Fische: nicht einmal eine Zierde für den schäbigen »Nordstern«. Wie abgerissen selbst Mister Trumpet aussah …
    Mister Trumpet und »Mister Rogers« schliefen ohne weiteres ein, aber das Knarren und Schlagen einer Kirchenglocke hielt mich wach.
    Gegen Mitternacht stieg ich aus dem Bett und ging zum Fenster. Der Nebel hatte sich verzogen, und die lange Straße lag unter dem wankenden Mond.
    Irgendwie hatte ich geahnt, was ich sehen würde, aber als ich es sah, versetzte es mir doch einen mächtigen Schock.
    Gegenüber, das eine Auge starr nach oben gerichtet, stand der verkrüppelte Fremde. Einen Augenblick trafen sich unsere Blicke: meiner erstaunt, seiner boshaft triumphierend. Dann drehte er sich um und eilte davon. Er hatte uns entdeckt.
    Ich glaube nicht, daß ich überhaupt daran dachte, meine Gefährten zu warnen. Statt dessen zog ich mich rasch an und schlich hinaus auf die kalte, stille Straße.
    Es kam mir so vor, als hätten der Fremde und ich etwas miteinander auszuhandeln. Wir hatten ein gemeinsames Interesse. Einen »Mister Rogers«.
    Er ging schnell und unbeirrt mit schwingenden, rollenden Schritten – etwas unbalanciert wegen seines fehlenden linken Armes. Er sah nicht zurück und rannte mehrere Male gegen Betrunkene, die ihm in den Weg taumelten. Zwei Karrenschieber machten ihn beinahe fertig, als er einen Platz überqueren wollte: tanzten hierhin und dahin – höflich – ärgerlich, ließen ihn dann lachend vorbei, und er ging auf und davon, schnell, schnell! Als sei ihm der Teufel auf den klapp-klappernden Fersen.
    Ich folgte ihm zu einem quadratisch gebauten, modernen Gebäude, das auf einem kleinen sauberen Gelände stand, nicht weit von der Hafenfront, mit guten Fenstern und einer reinlichen Tür. Ich hatte etwas anderes erwartet, etwas von der Art einer stinkenden Bierkneipe.
    Aber was ich durch das geöffnete Fenster hörte (denn der alte Mann mit Haarbeutel, der dort wohnte, rauchte eine lange Pfeife, die den Fremden halb zum Ersticken brachte, bis er grollend trotz der kalten Nacht ein Fenster öffnete) stank genügend zum Himmel.
    Ich hörte jetzt eine Geschichte von Meeressturm und Schiffbruch und von einem guten Schiff, das von Erbarmen bemannt und Mitleid getakelt war und den armen Schiffbrüchigen zu Hilfe eilte.
    All dies klang mir, der ich draußen kauerte, halb vertraut. Dann ging die Geschichte in der bald ruhigen, bald bebenden Stimme des Fremden weiter, und kam der Zeit, in der ich hineingetragen wurde, immer näher.
    »Nein, du großer Gott!« schrie er wieder – genau wie ich ihn schon einmal schreien hörte – (drum war mir die Stimme so bekannt vorgekommen!), und Taplow, Clarke, der Holländer, der schmierige Pobjoy, die furchtbaren Brüder Fox, und der adrette, kalte Mister Morris selbst kamen zum Leben. Nur war das ein Leben, das ich nicht gesehen hatte.
    Einer nach dem mordgierigen anderen kamen sie über

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