Jack Taylor fliegt raus

mehr Geld gehabt als vorher. Das ist gegen die Gesetze der Natur. Als ich meine Wohnung verließ, kann ich nicht mehr als umpfunddreißig Pfund dabeigehabt haben. Ich starrte das Portemonnaie an. Die Krankenschwester missdeutete meinen Blick und sagte:
    »Ist alles drin, Mr Taylor, wir bestehlen unsere Patienten nicht. Vierhundertfünfzig Pfund. Sie können gern nachzählen.«
    Sie stürmte davon. Ich ging, um mich von Dr. Lee zu verabschieden. Ich sagte:
    »Kann ich was spenden?«
    »Trinken Sie nicht.«
    »Ich meint e … «
    »Ich auch.«
    Er streckte die Hand aus und sagte:
    »Es gibt die AA .«
    »Die gibt es.«
    »Und Antabus.«
    »Richtig.«
    Er schüttelte nicht den Kopf, vermittelte aber die Aussage eines Kopfschüttelns. Dann fragte er:
    »Jac k … , haben Sie Famili e … , Freunde?«
    »Gute Frage.«
    »Dann finden Sie’s mal heraus.«
    Draußen schien die Sonne. Ein Bus hielt an und jeder einzelne Mensch in dem überfüllten Ding starrte mich an. Vor dem strahlenden Hintergrund der verrufensten Klapse von ganz Irland, der Körper in Fetzen, gehörte ich bestimmt nicht zum Personal.
    Ich zeigte ihnen den Finger.
    Die meisten applaudierten.

N aturgemäß war in Spuckweite von der Klinik eine Kneipe. Einen benommenen Moment lang war ich gelassen und selbstsicher. Nie, oh, nie klang der Sirenen Schreigesang so elend schrill und schön. Ich konnte nich t … Ich konnte nicht. Ich blickte zurück und spürte, wie Dr. Lee nickte, als könnte er mich sehen, und ging weiter.
    Am Bahnhof hatte ich nur eine halbe Stunde bis zum Zug. Saß im Wartesaal, bestellte nichts. Auf dem Stuhl lag eine Zeitung. Noch mehr Untersuchungsausschüsse. Ich kam mir vor, als hätte ich selbst so eine Vorladung gekriegt. Sah auf das Datum und mein Herz schoss Kabolz. Ich war zwölf Tage lang weg gewesen. Einen für jeden der Apostel. Ich stellte einige Berechnungen an und kam zu dem Ergebnis, dass ich drei Tage als vermisst zu melden gewesen wa r … und dabei noch Geld verdient hatte.
    Der Zug kam und ich kriegte einen Fensterplatz. Ich hatte mich in der Klinik nicht rasiert und ein halbwegs anständiger Bart begann sich breitzumachen. Ich sah aus wie Kris Kristoffersons Vati. Die übel zugerichtete Nase vervollständigte den »Pass bloß auf!«-Look. Beim Verlassen der Klinik hatte ich intensiv in den Spiegel gestarrt. Das Problem gelöst, das mich beschäftigte. Meine Augen. Sie waren klar und fast lebendig. Nicht strahlend, aber doch irgendwo in der Gegend. Nachdem dort jahrelang die Bresthaftigkeit logiert hatte, war es eine gelinde Offenbarung.
    Kurz vor Athenry kam das Erfrischungswägelchen. Ein junger Bursch von etwa achtzehn Lenzen fragte:
    »Tee, Kaffee, Mineral?«
    »Einen Tee, bitte.«
    Ich spürte, wie er meine Verletzungen inspizierte. Ich sagte:
    »Bin vom Moped gefallen.«
    »Wow.«
    »Ja, bei knapp 150 Ka-Emm-Ha.«
    »Harley?«
    »Was gibt’s denn sonst noch?«
    Das gefiel ihm ausnehmend gut, dann:
    »Möchten Sie was zu trinken?«
    »Was?«
    »Sehen Sie mal, wir haben zwar diese ganzen Miniaturen, aber wer soll die Preise zahlen?«
    »Nei n … , vielen Dank.«
    »Ich geb Ihnen zwei zum Preis von einer. Wäre das was?«
    »Ich kann nich t … Ich mein e … Ich nehme Tablette n … Gegen die Schmerzen.«
    »A h … , Tabletten.«
    Über die schien er alles zu wissen. Dann:
    »Ich muss weiter. Passen Sie auf sich auf.«
    Indem ich von der Eisenbahn absaß, traf ich einen Taxifahrer, den ich schon mein ganzes Leben lang kannte. Er sagte:
    »Unbeschwert gereist?«
    »Das Gepäck kommt mit dem Wagen nach.«
    »Weiser Schachzug.«
    Wenn man so was mit unbewegter Miene schafft, ist man so gut wie gewählt. Taxifahrer müssen natürlich erst mal einen Schein machen.
    Ich blickte über den Eyre Square und an jeder Ecke bleckten mich Kneipen an wie die Leuchtbaken. Rucksacktouris wimmelten auf der Suche nach dem Nirwana und einer billigen Unterkunft hin und her. Gegenüber vom Great Southern Hotel war eine Trink-Akademie in Gesang ausgebrochen. Weil niemand sonst da war, der es hätte sagen können, sagte ich:
    »Willkommen daheim.«

DIE
TOTEN

A ls ich bei Grogan’s reinkam, spürte ich einen Mix aus Bammel und Adrenalin. Sean, hinterm Tresen, erkannte mich nicht. Ich sagte:
    »Sean.«
    »Jesus, Maria und Josef. Es ist der Schutzmann an der Ecke.«
    Er kam von hinterm Tresen hervor und sagte:
    »Mein Gott, wo warst du? Das ganze Land sucht dich. Setz dich hin, setz dich hin, ich bring dir einmal wie immer.«
    »Sean,