Jack West 02 - Die Macht der sechs Steine
finsteren.< Es scheint ziemlich klar zu sein. Wir gehen bis zum Zusammenfluss der drei Flüsse nicht weit von hier und entscheiden uns für den sinistren.«
»Den sinistren?«, fragte Solomon.
Lily grinste: »Ich glaube nicht, dass damit der bedrohlichste gemeint ist, Solomon. Auf Lateinisch heißt sinister oder sinistra links. Wir nehmen den linken Zulauf.«
Während die anderen noch den riesigen Wald behauener Bäume bestaunten, erkundete Zoe das Ufer weiter flussaufwärts.
Etwa dreißig Meter in dieser Richtung erregte etwas ihre Aufmerksamkeit, und sie wollte sich genauer ansehen, was es war.
Sie kam um eine Flussbiegung ...
... und blieb wie angewurzelt stehen.
»Au weia«, keuchte sie.
Vor ihr lagen nicht weniger als dreißig Flussboote, verrottet und kaputt und halb im Fluss versunken. Verfallene Boote der verschiedensten Epochen. Einige waren neuerer Bauart, andere Patrouillenboote aus dem Zweiten Weltkrieg, wieder andere noch älter. Flussboote aus dem 19. Jahrhundert, wie Henry Morton Stanley sie benutzt haben könnte. Es gab sogar ein paar halb zerstörte Wasserflugzeuge und einen ramponierten Helikopter mit dem Wappen der angolanischen Armee. Zoe blieb wie angewurzelt stehen.
Es war eine Ansammlung von Fahrzeugen, die bis zu diesem Ort vorgedrungen und nie wieder zurückgekehrt waren.
»Mist. Wir sind mitten in eine Falle getappt.«
Sie wirbelte herum und schrie: »Lily! Wizard! Zurück in den Helik ...«
In diesem Moment jedoch explodierte der Hubschrauber.
Die Explosion hallte im ganzen Tal wider.
Wizard, Solomon und die Kinder wirbelten herum und sahen im nächsten Moment, wie der Helikopter sich in einen riesigen Feuerball verwandelte.
Zoe kam über das Ufer zurückgelaufen und starrte das brennende Wrack des Huey an.
Dann knackte am gegenüberliegenden Ufer ein Zweig. Sie riss den Kopf herum und sah gerade noch, wie eine schwarze Gestalt aus dem Wasser glitt und im Blätterwerk verschwand.
Ein Eingeborener.
Dann wurde es Zoe schlagartig klar.
Die Neetha waren im Verlauf der Jahrhunderte sehr wohl entdeckt worden, vielleicht sogar oftmals. Durch Zufall von Forschern und einmal sogar von einer angolanischen Patrouille, wie es schien. Weil aber keiner, der den Stamm fand, wieder hier wegkam und der Außenwelt von ihnen berichten konnte, waren die Neetha bis heute sagenumwoben geblieben.
Und welch bessere Methode konnte es geben, einen gerade angekommenen Besucher abzulenken, als durch diese spektakulären Baumschnitzereien. Während die riesigen Statuen die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich zogen, versenkten Saboteure des Stammes ihr Boot oder machten ihren Hubschrauber unbrauchbar.
Und jetzt haben sie uns in die Falle gelockt, dachte Zoe.
»Herrgott«, fluchte sie, »wie konnte ich nur so verdammt... ach, verflucht!«
Am Fuße der riesigen behauenen Bäume traten sie aus dem Blattwerk: dunkelhäutige Stammeskrieger, die Gesichter in furchterregender weißer Kriegsbemalung, die gelben Augen blutunterlaufen. Aus der Stirn und dem Kinn traten hässliche knöcherne Auswüchse hervor und verliehen ihnen einen grausigen, unmenschlichen Anblick.
Das Proteus-Syndrom, dachte Wizard. Ernährungsbedingte Deformationen, die durch jahrzehntelange Inzucht noch verstärkt werden.
Es waren vielleicht sechzehn, alle hielten Bogen und Schusswaffen in den Händen. Langsam schlichen sie sich heran, behutsam, aber stark.
Während sie von allen Seiten näher kamen, nahmen Zoe, Wizard und Solomon instinktiv die Kinder in ihre Mitte.
»Ich glaube, unsere Suche ist damit beendet«, flüsterte Solomon. »Es scheint, dass die Neetha uns gefunden haben.«
DIE SECHSTE PRÜFUNG
DIE FURCHT DES HADES-STAMMES
DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO
14. DEZEMBER 2007
3 TAGE VOR DEM ZWEITEN STICHTAG
DAS REICH DER NEETHA PROVINZ KATANGA, KONGO
14. DEZEMBER 2007, 19:30 UHR
Von Neetha-Kriegern umzingelt, wurden Zoe und die anderen den linken Zufluss entlang getrieben. Ihr Marsch wand sich durch dichtes Blattwerk, vorbei an einigen felsigen Stromschnellen. Unterwegs stolperte Wizard einmal über eine Wurzel und fiel hin. Kaum hatte er sich wieder aufgerappelt, spürte er auch schon ein Messer an seiner Kehle. Ein Krieger der Neetha, der dies offenbar für einen Fluchtversuch gehalten hatte, hielt ihn fest.
»Quwanna wango«, zischte der Neetha. Wizard erstarrte, während sein Geiselnehmer ihm langsam die Klinge gegen die Kehle drückte, bis Blut hervorquoll. Zoe und die anderen hielten den Atem
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