Jacks Briefe
schmerzverzerrtem Gesicht einen Probelauf machte und dabei immer wieder umknickte.
Mit den teuren Kleidern im Gepäck setzte sich die Kutsche in Richtung Haimsborrow in Bewegung. Katelyns Gedanken waren bei Jack. Fast ein Monat war seit seiner Abreise vergangen und sie hatte noch keinen Brief von ihm erhalten. Sie fragte sich, ob er sie womöglich schon vergessen hatte. Ob er zu abgelenkt war oder ob seine Briefe auf dem Postweg einfach verloren gegangen waren. Allmählich wurde ihr das Warten unerträglich und sie spürte, das, wenn sie nicht bald etwas von ihm hören würde, sie das langsam innerlich verrückt machte. Sie wurde von grauenhaften Albträumen gequält, in denen er auf dem Schlachtfeld starb oder eine andere liebte. Jedes Mal wachte sie schweißgebadet auf und konnte danach nicht wieder einschlafen.
Das Mieder schnürte ihre Taille ein, als wolle man sie gänzlich verstecken.
„Bauch einziehen“, mahnte Leila, die Kammerfrau und zog die langen Strippen des Mieders noch fester.
„Ich kann nicht atmen!“, keuchte Katelyn und hielt sich den Bauch.
„So muss das sein. Besser nichts essen und trinken, sonst wird es noch schlimmer“, sagte Leila und stülpte ihr das Kleid über den Kopf. Sie zog und zerrte daran, bis es seine Form an Katelyns Körper gefunden hatte.
„Sie können ruhig ein wenig Haut zeigen“, bemerkte sie und hob Katelyns Brust an damit ihr straffes, weißes Dekolleté zum Vorschein kommen konnte.
„Es wissen ja ohne hin schon alle, dass sie mit Master Duncan verlobt sind“, fuhr sie fort, tauchte den Pinsel in die Puderdose und bestäubte Katelyns Haut mit einem weißen Film, um sie noch blasser erstrahlen zu lassen.
Katelyn ließ die Prozedur geduldig über sich ergehen. Als Leila das Zimmer verließ, stand sie nachdenklich am Fenster, von dem aus man auf das Waldstück blicken konnte, indem sich die Ruine befand. Erschwert seufzte sie. Es war nicht möglich einen tiefen Atemzug zu tun und damit ihre Lunge gänzlich zu füllen, so eng schnürte sie das Mieder ein. Sie stockte immer wieder während des Einatmens. Es war grässlich. Und wenn sie daran dachte, dass sie jetzt, da sie eine Frau war, jeden Tag in so eine Verkleidung gesteckt wurde, wurde ihr ganz schwindelig. Dann, so dachte sie, wollte sie lieber keine Frau sein!
Sie hielt Jacks Brief, den er ihr kurz vor seiner Abreise geschrieben hatte, dicht an ihr Herz und hoffte, dass er irgendwie ihre Nähe spüren konnte. Ihre Liebe. Dass er spürte, wie sehr sie mit ihren Gedanken bei ihm war und nur bei ihm. Ein merkwürdiges Gefühl mischte sich ein, als sie darüber grübelte, wieso er sich noch nicht gemeldet hatte. Es war ihr nicht möglich es präzise zu beschreiben, aber irgendwie fühlte es sich an wie eine Art Wut. Sie war wütend auf Jack. Darauf, dass er sie hier zurückgelassen hatte, mit dieser, ihrer lästigen Pflichterfüllung. Vielleicht hätte er einfach mit ihrem Vater über seine Gefühle zu ihr, sprechen sollen. Womöglich wäre dann jetzt alles gut. Er wäre nicht in Aberdeen, sondern bei ihr und sie müsste nicht die zukünftige Herzogin von Frybury werden. Sie fragte sich, warum er nicht um sie kämpfte. So, wie es die Helden aus seinen Geschichten taten. Warum ließ er sie alleine, warf sie den Löwen zum Fraß vor? Und dann drängte sich ihr der Verdacht auf, dass er es womöglich gar nicht ernst mit ihr gemeint hatte. Bei dem Gedanken schossen ihr unwillkürlich die Tränen in die Augen. Aber vielleicht würde es ihr nun weniger schwerfallen Duncan zu heiraten, jetzt da sie seine Absicht erkannt hatte.
Es klopfte an der Tür. Ihre Mutter stand draußen.
„Kommst du Liebes? Wir müssen los, sonst kommen wir zu spät. Und du willst doch sicher nicht, dass sie ohne dich anfangen. Ich warte in der Kutsche auf dich. Und, Katelyn? Dein Vater besteht darauf auch mitzukommen. Ich habe ihm aber gesagt, er solle kein Aufsehen erregen und er hat mir daraufhin versprochen, sich zu benehmen. Also mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, es wird ein ganz wundervoller Abend! Wir sind dann unten.“
Ein bisschen ungewöhnlich war es schon, dass ihr Vater mit auf einen Ball ging. Denn er hasste solche Zusammenkünfte und verstand sich nicht gut darin, sich so zu verhalten, wie es einem Gentleman gebührte. Das hieß nicht, dass er nicht freundlich oder zuvorkommend war, sondern hatte er einfach nur dieses gesellschaftliche Getue satt. Als Katelyns Eltern noch jung waren, musste ihr Vater wohl ganz anders
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