Jade-Augen
beobachtete ihn aufmerksam.
»Ich nehme an, daß du, wenn du mit einer so lebhaften Rasse umgehen kannst, gut genug reitest, um auch mit einem Pferd zurechtzukommen, das an mein Gewicht gewöhnt ist?«
»Ja, das glaube ich schon.«
»Ich habe eine kleine Herde, Kavalleriepferde versteht sich, nicht Rennpferde. Mit einem von ihnen wirst du bestens ausgerüstet sein, aber ich glaube, du solltest erst lernen, mit einem solchen Tier umzugehen.«
Sie nickte leichthin. »Ich habe ja schon gesagt, daß ich gerne die Gelegenheit ergreifen würde, mir ein wenig Bewegung zu verschaffen … draußen, an der frischen Luft.«
Er lächelte. »Das kann ich dir nicht bieten, aber ich habe für den Rest des Tages Dienst in der Reitschule und exerziere mit einer Schwadron Kavallerie. Ich meine, du könntest dich ihnen anschließen.«
»In welcher Kleidung?«
»Afghanisch. Überlasse die Erklärungen mir.«
»Wie soll ich ohne Stiefel reiten?«
»Wenn Sie die Einmischung entschuldig’n, Sir, ich glaub’ ich kann für die Miss ’n Paar Reitstiefel beschaff’n.« Harley tauchte in der offenen Wohnzimmertür auf. »Da gibt’s ’n afghanisches Mädchen in der Messeküche, Sir. Sie bringt alle möglichen Dinge her … um einen bestimmten Preis, versteht sich.«
»Dann vervollständige Miss Spencers Kleiderschrank, Harley«, sagte Kit munter. »Ohne dir Fragen stellen zu lassen und ohne an Rupien zu sparen.«
»Einverstanden, Sir. Wenn ich nur einen von den Pantoffeln der Miss haben könnte, wegen der Größe?«
»Eine unternehmerische Seele mit Verwandten im Basar, vermutlich«, sagte Annabel und rieb ihren unbeschuhten Fuß. »Umgang mit dem Feind wird dann nicht als Verstoß gewertet, wenn die Preise Wucherpreise sind. Wahrscheinlich besitzt sie ein ganzes Lager hinter der Messeküche.«
»Nun, wenn es deine Bedürfnisse deckt, werde ich mir keine Gedanken über ihre Herkunft machen«, erklärte Kit. »Es wäre vielleicht am besten, wenn du mit Harley mitgingest und selbst das kauftest, was du benötigst. Du weißt das besser als er.«
»Sicherlich kann ich auch besser handeln als er«, Annabel klang vernünftig. »Und ich werde wollenes Futter und Pelzbesätze brauchen gegen die Kälte. Auch ein Chadri würde das Leben erleichtern. Der Mantel ist schön und gut, aber es ist schwierig, sich mit ihm ganz einzuhüllen … und wahrscheinlich brauche ich auch –«
»Genug!« Lachend gebot Kit dieser wachsenden Einkaufsliste Einhalt. »Kaufe, was immer du brauchst. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du mich in den Bankrott treiben willst. Ich gehe inzwischen in den Stall und entscheide, welches meiner Pferde am besten für dich paßt. Dann könnt ihr anfangen, euch gegenseitig kennenzulernen.«
Er kehrte bald auf einem kraftvollen und außerordentlich häßlichen Schecken zurück. Annabel, der immer noch ein Schuh fehlte, hüpfte zur Eingangstür und rief lachend: »Meine arabische Stute würde ich vorziehen.«
»Vielleicht, aber Charlie hier wird dir sehr treu dienen. Komm, ich mach dich mit ihm bekannt.«
»Mir fehlt noch immer ein Schuh.«
Kit stieg ab und führte das Tier zur Tür, wo Charlie und Annabel sich gegenseitig in Augenschein nahmen. Annabel tätschelte ihm vorsichtig die Nase. »Er ist riesig, Kit.«
»Aber er hat sehr gute Manieren«, versicherte er ihr. »Und er ist ausdauernd.«
»Hmmm.« Annabel und ihr neues Pferd sahen einander prüfend an, dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und blies Charlie zärtlich in die Nüstern. Das Pferd kräuselte seine samtene Nase und zog, als ob es zur Antwort grinsen wollte, die Lippen zurück.
Kit nickte befriedigt. Annabel und das Pferd würden sich schnell aneinander gewöhnen.
»Ich hoffe, die sind in Ordnung, Miss.« Harley kam den Pfad entlang, mit einem Paar afghanischer Stiefel in der Hand. »Die diebische Elster wollte ein kleines Vermögen für sie, Sir.«
Kit winkte ab, nahm die Stiefel entgegen und untersuchte sie. »Sie sehen kräftig genug aus. Zieh sie an, und wir machen uns auf den Weg.«
Annabel nahm sie und verwandelte sich alsbald in Ayesha, verschleiert, mit verhülltem Haar und unter einem Mantel verborgen. Kit setzte sie auf Charlies Rücken, der es irgendwie fertigbrachte, überrascht auszusehen, als ob eine Fliege auf seinem Rücken gelandet sei, aber dennoch freundlich neben Kit zur Reitschule klapperte.
In dem stallähnlichen großen Gebäude standen zwanzig Kavalleristen neben ihren Pferden. Ein schlanker, verwitterter
Weitere Kostenlose Bücher