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Jade-Augen

Jade-Augen

Titel: Jade-Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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»Bitteschön, Miss. Ich bring das für Sie ins Eßzimmer.«
    Annabel war versucht zu sagen, daß sie auch gerne mit dem Burschen in der Küche essen würde, aber es fiel ihr noch rechtzeitig ein, daß dies möglicherweise kein glücklicher Vorschlag war, entweder weil er ihre Gesellschaft mißbilligen könnte, oder weil dies seinen Sinn für soziale Schicklichkeit verletzt hätte. Wahrscheinlich ein wenig von beidem, entschied sie und folgte ihm mit ihrer Tasse in der Hand ins Speisezimmer.
    »Bist du schon länger bei Leutnant Ralston, Harley?«
    Harley setzte den gut gefüllten Teller auf den Tisch und nahm Besteck und Serviette aus einer Schublade in der Anrichte. »Fünf Jahre, Miss. Ich war schon sein Bursche, als er zu den Siebten Leichten Dragonern kam.« Seine Lippen verzogen sich mißbilligend. »Hätte nie erwartet, daß wir hier draußen enden würd’n, wie’s nun scheint. Aber ich nehm’ an, bei der Art und Weise wie der Leutnant sich verhielt, mußte’s so kommen. Aber ’s is’ schon verdammt weit weg von den Paraden der Berittenen Garde, hier draußen bei den Heiden.« Ein plötzliches Erröten färbte die ledrigen Wangen. »Wollte Sie nicht beleidigen, Miss. Ich weiß, daß Sie wie eine von denen gekleidet sind, aber ’s is’ klar wie der Tag, daß Sie nich’ zu ihnen gehör’n.«
    Annabel dachte darüber nach, als sie sich setzte. »Nein, streng genommen bin ich genauso aus England wie du. Nur empfinde ich mich selbst nicht so. Ich lebe seit meinem zwölften Lebensjahr bei den Afghanen.«
    Harleys Unterkiefer klappte herunter, und er starrte sie an. »Also, das hätte ich niemals …«
    »Genauso hat es der Leutnant aufgenommen«, unterbrach sie ihn. »Es scheint ihn im Kern seines Patriotismus sehr zu berühren.«
    »Nicht nur den Kern seines Patriotismus, möchte ich annehmen«, blickte Harley sie geheimnisvoll an und stellte den Gewürzständer vor sie. »Es sind seine umherschweifenden Augen, die ihn immer wieder in Schwierigkeiten bringen.« Woraufhin er Annabel mit ihrem einsamen Frühstück allein ließ.
    Der Leutnant besaß also umherschweifende Augen. Annabel schob sich eine Gabel voll Ei und Speck in den Mund. Das überraschte sie nicht unbedingt. Was aber war in London geschehen, das dieses Verbannungsurteil rechtfertigte, wie Harvey angedeutet hatte?
    Im Augenblick alle Fragen beiseite schiebend, wandte sie sich der ausgezeichneten und vertrauten, aber doch irgendwie ungewohnten Mahlzeit zu und träumte von einem anschließenden Bad vor dem brennenden Kamin im Schlafzimmer. In dieser fremden Umgebung Pläne für den Tag zu schmieden, warf neue Fragen auf.
    Was geschah jetzt in Akbar Khans Haus in Kabul?
    Wie hatten sie sich ihr Verschwinden erklärt?
    Wie tatkräftig würde er Nachforschungen anstellen?
    Oder war er jetzt so tief darin verstrickt, die Lawine, die über die Eindringlinge aus dem Abendland hereinbrechen sollte, vorzubereiten, daß er keine Zeit hatte, sich mit einer Frau, die schließlich doch nur eine von vielen war, zu befassen?
    Es würde alles soviel leichter sein, wenn letzteres zuträfe. Leichter … und sicherer.

9. KAPITEL
    Akbar Khan saß so still, als ob er aus Stein gehauen wäre. Seine Augen schienen durch die weinende Soraya, die auf ihren Knien vor ihm lag, hindurchzublicken und weiter als die Soldaten und Diener, die den Raum füllten.
    »Und du bist dir sicher, daß nur der Mantel aus der Eingangshalle fehlt?« sagte er schließlich gelassen und vollkommen frei von Ärger. Aber niemand im Zimmer ließ sich täuschen. Sie allen waren mehr oder weniger schuldig, und dieser gedrungene, mächtige Mann in seinem eleganten grünen Rock und dem seidengesäumten Hemd würde ein gerechtes und angemessenes Urteil über jeden einzelnen von ihnen sprechen.
    »Ja, Khan«, antwortete Soraya. »Alles, was ihr gehört, ist noch in ihrem Zimmer. Sie muß sich angezogen haben, denn ihre Nachtgewänder liegen auf dem Diwan … Wenn ich doch nur nicht so fest geschlafen hätte!« Sie begann zu jammern und den Propheten anzurufen, damit er sie für ihre Faulheit, ja, ihren Mangel an Wachsamkeit über ihren wertvollen Schützling bestrafe.
    »Es war nicht dein Fehler«, sagte Akbar Khan und unterbrach damit ihren Katzenjammer. »Du hast nicht länger geschlafen, als du es normalerweise tust. Der Fehler liegt bei den Wachen, die ihren Posten verlassen haben, und bei den Dienern, denen das Verschließen der Türen obliegt. Ayesha hat den Ort nicht aus eigenem freien

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