Jäger des verlorenen Schatzes
er es. Er erschrak, ließ die Fackel in den Schacht fallen und hörte das Zischen Hunderter von Schlangen.
Die Fackel brannte weiter, und die Schlangen wichen vor den Flammen zurück. Mehr als nur Hunderte, Tausende von Schlangen, ägyptische Brillenschlangen, zuckend und sich zusammenrollend, über den Boden dahingleitend, während sie die Flammen böse anzischten. Der Boden schien sich im Feuerschein aufzubäumen - aber es war nicht der Boden, es waren die Schlangen, die vor demLodern zurückwichen. Nur der Altar war von den Schlangen unberührt. Nur der Steinaltar schien gegen sie immun zu sein.
»Warum ausgerechnet Schlangen?« sagte Indy. »Alles, nur keine Schlangen. Alles andere hätte ich ertragen können.«
»Vipern«, sagte Sallah. »Sehr giftig.«
»Vielen Dank für die Mitteilung, Sallah.«
»Sie weichen vor den Flammen zurück, wie Sie sehen.«
Reiß dich zusammen, dachte Indy. Du bist der Bundeslade so nah, daß du sie fast in den Händen hältst. Du mußt mit deiner Angst fertig werden und etwas dagegen tun. Tausend Schlangen - na und? Was soll schon sein? Der zuckende, lebende Boden war die Verkörperung eines alten Alptraumes. Schlangen verfolgten ihn bis in seine Träume hinein, erregten seine tiefsten Ängste. Er drehte sich nach den Arbeitern um. »Also gut. In Ordnung. Ein paar Schlangen. Was ist das schon? Ich brauche viele Fackeln. Und Petroleum. Ich brauche da unten eine Landebahn.«
Nach einiger Zeit warf man brennende Fackeln in den Schacht. Auf die Stellen, wo die Schlangen vor den Flammen zurückgewichen waren, ließ man mehrere Kanister mit Petroleum fallen. Die Araber ließen anschließend eine große Holzkiste an Seilen hinabgleiten. Indy schaute zu und fragte sich, ob krankhafte Furcht etwas war, das man überwinden und niederringen konnte, etwas, das man zu ignorieren vermochte wie einen quälenden körperlichen Schmerz. Trotz seiner Entschlossenheit, da hinunterzusteigen, zitterte er - und die durcheinandergleitenden, sich aufbäumenden Vipern füllten die Dunkelheit mit ihrem Zischen, ein Geräusch, schlimmer als alles, was er in seinem Leben je gehört hatte. Man ließ ein Seil hinab. Er richtete sich auf, schluckte krampfhaft, griff nach dem Seil, schwang sich hinaus und glitt hinunter in den Schacht. Augenblicke später folgte ihm Sallah. Hinter den Flammen wanden Schlangen, wogten durcheinander, Schlangen auf Schlangenbergen, zuhauf, Schlangen eierlegend, die auseinanderbrachen und winzige Vipern erkennen ließen, Schlangen, die andere Schlangen zerbissen.
Er hing eine Weile am Seil, das hin und her schwankte, Sallah über sich.
»Dann also los«, sagte er.
Marion hob den Kopf, als Belloq ins Zelt kam. Er ging langsam auf sie zu und betrachtete sie einige Zeit, ohne ihr den Knebel abzunehmen. Was hatte dieser Mann an sich? Woran lag es, daß ein unnennbares Gefühl in ihr aufstieg, beinahe Panik? Sie konnte hören, wie ihr Herz schlug. Sie starrte ihn an und hätte am liebsten die Augen zugemacht und das Gesicht abgewendet. Bei ihrer ersten Begegnung, nachdem sie gefaßt worden war, hatte er sehr wenig zu ihr gesagt und sie nur prüfend angesehen, so wie jetzt. Die Augen blickten kalt und wirkten doch klug, obwohl sie selbst nicht sagen konnte, wie sie zu diesen Einsichten kam, so, als seien sie der Wärme fähig. Sie kamen ihr auch wissend vor, so, als hätte er ein tiefes Geheimnis ergründet, hätte er die Wirklichkeit einer Prüfung unterzogen und sie als mangelhaft empfunden. Das Gesicht war gut geschnitten, von melancholisch-versonnenem Ausdruck. Aber das waren nicht die Dinge, die in ihr Inneres griffen.
Es war etwas anderes.
Etwas, woran sie nicht denken wollte.
Sie schloß die Augen. Marion konnte es nicht ertragen, so durchdringend angestarrt zu werden, gemustert wie ein archäologischer Fund, eine Tonscherbe, irgendwo ausgegraben und aufgelesen. Leblos, ein Gegenstand.
Als sie hörte, wie er sich bewegte, öffnete sie die Augen.
Er sagte immer noch nichts. Ihre Beunruhigung wuchs. Er ging durch das Zelt, bis er vor ihr stand, dann streckte er ganz langsam die Hand aus und entfernte bedächtig den Knebel. Sie sah plötzlich seine Hand vor sich, ein unerwünschtes Bild, ihre Hüfte streichelnd. Nein, dachte sie. So ist das gar nicht. Aber das Bild blieb.
Belloqs Hand zog den Knebel mit der Selbstsicherheit des erfahrenen Liebhabers aus ihrem Mund zum Kinn herab, dann löste er den Knoten - alles ganz langsam, mit der beiläufigen Eleganz des
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