Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
darüber nachzudenken, mit wem Thorne zuletzt gesprochen hatte. Ich wandte mich zum Gehen, doch da fiel mein Blick auf die Biergläser. Ich nahm rasch Thornes halb leeres Glas, tauchte die Finger in die dunkle Flüssigkeit und benetzte meine Zungenspitze damit. Im selben Moment spuckte ich das widerliche Zeug auch schon wieder aus und warf das Glas an die Wand, sodass es Splitter und Biertropfen regnete.
„Vergiftet!" Das Bier war mit genug Naturi-Blut versetzt, um Thorne auf der Stelle zu töten. Dank meiner langen Gefangenschaft bei den Naturi würde ich mich wohl bis in alle Ewigkeit an diesen widerlichen Geschmack erinnern. Die meisten Nachtwandler kannten ihn jedoch nicht. Die Naturi waren zu gering an Zahl, und es war Jahrhunderte her, seit ich zuletzt von einem vergifteten Nachtwandler gehört hatte.
Die Kellnerin mit dem Pentagramm an der Halskette stand hinter der Theke und schaute in meine Richtung. Ich war nicht sicher, ob sie mich sehen konnte, aber das brauchte sie auch nicht. Sie wusste auch so, dass sie gewonnen hatte. Knurrend stürzte ich mich in die Menge und stieß die Menschen zur Seite, um mir einen Weg durch das Meer aus Körpern zu bahnen. Ich hatte den Saal zur Hälfte durchquert, als Danaus mich einholte.
„Dafür haben wir keine Zeit!", rief er und hielt mich am Arm fest. Ich ließ meine Beute nicht aus den Augen. „Sie ist tot!", brüllte ich und riss mich von ihm los. „Wir gehen jetzt!" Danaus packte mich an der Taille, hob mich kurzerhand hoch und trug mich Richtung Ausgang. Tristan war direkt hinter uns und schien nicht recht zu wissen, ob er Danaus folgen oder sich um die Kellnerin kümmern sollte. Ich schrie vor Frustration und versuchte, mich aus Danaus' Umklammerung zu befreien, aber er ließ mich nicht los. Ich war zwar stärker als er, doch so, wie er mich unter den Arm geklemmt hatte, saß er am längeren Hebel, und ich kam nicht gegen ihn an.
Als ich zu der blauhaarigen Frau hinüberschaute, die Thorne getötet hatte, kreuzten sich unsere Blicke und sie lächelte mich triumphierend an. Ich hätte es den Naturi, denen sie diente, überlassen sollen, sich mit ihr zu vergnügen, was sie sicherlich tun würden, aber das konnte ich nicht. Ich gab ihr Lächeln zurück, und meine Augen leuchteten im Halbdunkel auf. Im selben Moment explodierten hinter ihr Dutzende Spirituosenflaschen in einer Feuerwand. Glassplitter und flüssiges Feuer ergossen sich über die Theke. Nun nahm das Geschrei im Saal hysterische Dimensionen an.
Thornes Mörderin stand lichterloh in Flammen und schrie sich die Seele aus dem Leib.
Als Danaus sich mit mir zum Ausgang vorarbeitete, hielt ich mich an einer der viereckigen Säulen fest, von denen das Obergeschoss gestützt wurde, und zwang ihn, mitten im Gedränge stehen zu bleiben. Von den Stößen und Hieben, die wir abbekamen, trugen wir sicherlich ein paar blaue Flecke davon, aber ich hatte ganz andere Sorgen.
„Die Leiche!", rief ich Danaus über den Lärm hinweg zu. Er machte augenblicklich kehrt und lehnte sich gegen die Säule, damit wir nicht von dem Menschenstrom mitgerissen wurden. „Heb mich hoch!"
Er stemmte mich kurzerhand nach oben, sodass ich mich auf seine Schulter setzen konnte, was in dem Gewühl unmöglich gewesen wäre, wenn er nicht so viel Kraft und ich nicht so einen hervorragenden Gleichgewichtssinn besessen hätte. Ich spähte über das Chaos hinweg zur Bühne. Niemand hatte Thorne angerührt, und seine Bandkollegen waren verschwunden.
Wenn ich etwas verbrennen wollte, das ich nicht spüren konnte, brauchte ich nach wie vor Sichtkontakt. Ich konzentrierte mich auf die Leiche, die sofort zu brennen begann.
Inzwischen schlugen die Flammen bereits die Wände hoch und züngelten an der Decke. In nur wenigen Minuten würde das Feuer das gesamte Lokal zerstört haben, doch ich durfte kein Risiko eingehen. Ich musste dafür sorgen, dass die Leiche komplett verbrannte, bevor die Feuerwehr anrückte. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass nichts mehr von Thorne übrig war, sprang ich von Danaus' Schulter, ergriff seinen Arm und zog ihn zu dem Notausgang links von der Bühne, während die meisten Leute immer noch zum Ausgang auf der Vorderseite des Gebäudes hasteten. Als ich mich kurz umsah, stellte ich fest, dass Tristan uns folgte. Ich war froh, dass er in dem Chaos nicht zu fliehen versuchte.
Vermutlich war er in diesem Moment zu geschockt von dem tödlichen Angriff auf seinen Freund, um sich Gedanken um seine Freiheit
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