Jägermond Bd. 1 - Im Reich der Katzenkönigin
zugänglich, Gedankenbilder drangen nicht mehr zu ihr durch. Er hörte nur den Nachhall ihrer verzweifelten Schreie.
Nun hatte er es aber endlich geschafft, und am grasbewachsenen Ufer des kristallklaren Gewässers gab er dem blutigen, halb zerfetzten Bündel einen letzten, kleinen Schubs.
»Trink, Kleine. Trink, dann wirst du vergessen.«
Noch nicht einmal dazu war sie in der Lage, und so netzte er seine Pfote und träufelte ihr das Wasser auf die Nase. Sie leckte. Dem heiligen Sphinx sei Dank, sie leckte den Tropfen ab. Einen nächsten ließ er fallen, und wieder nahm sie die heilende Flüssigkeit auf. Dann war sie in der Lage, selbst zu schlabbern, wenn auch mühselig.
Das Echo ihrer Schmerzen schwand mit jedem Schlapp, und nach einer Weile hob sie ihren Kopf.
»Wo bin ich?«
»An der Grenze zu den Goldenen Steppen. Komm, es ist Zeit, sie zu betreten. Zeit, den schmutzigen Mantel abzulegen und einen neuen anzuziehen.«
Sie war noch verwirrt, irritiert, desorientiert. Aber das würde sich legen. Über die drei Trittsteine führte Imhotep sie auf die andere Seite, und staunend sah sie sich um.
Selket, die Mantelverwalterin, kam auf sie zu und brummte mitleidig, als sie das blutverkrustete Fell sah. Mit sanften Pfoten nahm sie es an sich und ließ den grauen Pelz der Seelen heilend über dem geschundenen Körper wachsen.
»Was geschieht mit mir?«, flüsterte die Kätzin.
»Du wirst Frieden finden, dort in den Weiten. Schau, golden schimmern die Gräser der Steppe, sonnenwarme Felsen warten dort, auf denen du dich ausruhen kannst. Es gibt fischreiche Bäche und Seen, in den Bäumen Vögel und allerlei Steppengetier. Freunde warten hier auf dich, und wenn du dich von den Strapazen erholt hast, wirst du mit ihnen jagen oder spielen oder in der Sonne dösen wollen.«
»Ja, ist gut.«
»Dann geh, Kleine!«
Vorsichtig setzte die graue Kätzin eine Pfote vor die andere, doch mit jedem Schritt auf den Goldenen Steppen nahm ihr Mut zu, und bald war sie zwischen den schimmernden Gräsern verschwunden.
»Menschen!«, knurrte Imhotep, und Selket nickte. »Manchen möchte man das Herz herausreißen. In kleinen Stücken.«
»Und doch, Imhotep, sie sind nicht alle so. Die meisten Katzenseelen, die ihren Weg selbst hierher finden, wissen Gutes von ihnen zu berichten.«
Imhotep zuckte mit dem Schwanz.
»Ich sehe diejenigen, die es nicht alleine schaffen. Schmerz wiegt schwer, Selket.«
Er drehte sich um und stiefelte steifbeinig über die Trittsteine davon.
»Wär besser, du würdest auch eine Weile hierbleiben und dich ausruhen, mein Freund«, murmelte Selket. Dann widmete sie sich dem zerfetzten Pelz, der dringend der Aufarbeitung bedurfte.
13. Finns Auszug
Im Grunde langweilte Finn sich. Irgendwie fehlte ihm der Unterricht jetzt doch, obwohl er den Tag herbeigesehnt hatte, an dem er die Schule verlassen würde. Er hatte auf Anraten dieses bärbeißigen Försters vor einigen Tagen die Farbe vom Dolmen entfernt, eine mühselige Arbeit, aber da er sich vage schuldig fühlte, war das in Ordnung. Doch seine Freunde wollten noch immer nichts von ihm wissen, die Klassenkameraden waren entweder in ihren Urlaub aufgebrochen, hatten irgendwelche Jobs angenommen oder machten Praktika.
Er hätte auch eins machen können. Nerissa hatte es mit dem Justiziar ihres Verlages vereinbart. Aber zum einen hatte Finn keine Lust, Akten abzustauben – schon gar nicht in dem Laden, in dem auch seine Mutter arbeitete –, und zweitens hasste er es, dass sie das über seinen Kopf hinweg entschieden hatte. Und dass sie ihm permanent damit in den Ohren lag, er solle sich endlich für das Jura-Studium einschreiben.
Warum sie da so eine fixe Idee hatte, begriff er nicht. Himmel, es war sein Leben. Nur, weil in ihren Augen diese Rechtsverdreher mit irgendeiner elitären Aura umgeben waren, musste er doch nicht ein staubiger Notar oder Anwalt werden. Sie wollte sich doch nur mit »mein Sohn, der Staranwalt« brüsten.
Mochte ja sein, dass die in amerikanischen Fernsehserien zu veritablen Helden hochstilisiert wurden, aber Paragraphenreiten gehörte nicht zu Finns bevorzugten Disziplinen.
Heldentum hingegen war schon erstrebenswert.
Weshalb er sich heimlich mit einer Laufbahn bei der Bundeswehr beschäftigte.
Wodurch sich seine Schwester Kristin, die die Unterlagen zufällig entdeckt hatte, zu der hämischen Bemerkung hatte hinreißen lassen, er wolle jetzt wohl mit der Panzerfaust zwischen den Zähnen durch das wilde Dschingusistan
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