Jagdzeit
Schwimmstößen synchronisiert und unterdrückte das Schmerzgefühl in seinem Arm, das durch die Kälte wie Feuer brannte. Oder war es die Anstrengung, weil er das Gewehr über Wasser halten musste? Sollte er es wegwerfen? Nein, behalt es. Man kann nie wissen. Er könnte auf einen Bären stoßen oder auf die Horde verwilderter Hunde, die sie letztes Jahr bei der Wildhatz gesehen hatten. Und außerdem waren seine Klamotten ja daran festgebunden.
Stoß, Stoß, Stoß, Atem holen. Noch mal. Er rammte einen Erdhügel und gab für einen Augenblick auf, schnappte nach Luft. Die Anstrengung zusätzlich zu dem Bourbon hatte die Übelkeit zurückgebracht. Plötzlich begann er, völlig unkontrolliert, zu kotzen. Eklig süßer Bourbon schoss seine Kehle hinauf und aus seiner Nase heraus, beißender Bourbon und Galle. Er würgte etwas davon wieder hinunter, biss die Zähne zusammen, um nicht zu viel Lärm zu machen. Dann konnte er es nicht mehr zurückhalten. Er kotzte und kotzte, bis ihn die Seiten schmerzten, und hielt sich gleichzeitig mit aller Kraft an dem Erdhügel fest, um nicht unterzugehen.
Komischerweise passierte das, als er durch tränenverschleierte Augen hindurch erkannte, dass er nur noch fünfzig Yards vor sich hatte. Er ließ den Erdhügel los, war aber zu schwach, um stehen zu können. Er geriet sofort unter Wasser, samt Gewehr und Klamotten, geradewegs hinunter, bis seine Hände sich in Schlamm und scharfes Felsgestein bohrten. Er fand wieder Boden unter den Füßen, unter Wasser, schaffte es irgendwie sich aufzurichten, und das Grau des Sees wandelte sich in das leuchtende Grau der Luft. Keuchend stürzte er vorwärts Richtung Ufer. Drei weitere Male ging er unter. Verlor das Gewehr und fand es wieder. Er holte sich eine hässlich klaffende Wunde am Knie, durch einen im Schlamm versunkenen Baumstamm. Und als er endlich das Ufer erreichte, knallte er kopfüber auf den harten Schiefer und erwartete, dass jemand aus dem Gebüsch trat und ihn tötete. Er wartete auf den Schuss und versuchte sich vorzustellen, wie es sich wohl anfühlte. Blieb das Gehirn lange genug in Betrieb, um zu realisieren, wo die Kugel getroffen hatte? Vielleicht nur für eine halbe Sekunde, sodass man begriff und wusste, dass der Treffer tödlich war und man für nichts mehr Zeit hatte vor der Ewigkeit, außer möglicherweise für ein letztes und hoffnungsloses Entsetzen? Niemand war je zurückgekommen, um davon zu berichten. Verwundete Männer, die sekundenlang ohne Bewusstsein gewesen waren, konnten sich nie an was erinnern. Aber vielleicht hatte ihr Bewusstsein wegen des Schocks alles ausgeblendet.
Eine Ente flatterte drüben aus dem Moor, überflog das Gebüsch und landete hinter ihm auf dem See. Er konnte sie nicht sehen, aber er hörte, wie das Wasser von ihren Schwimmflossen hochspritzte, als sie wasserte, und wie ihre Flügel schlugen, gleich einem wild pochenden Herzen.
Langsam spürte er wieder die Kälte. Für einen Augenblick hatte er sie vergessen. Schmerzhaft wie ein dunkler Wind kehrte sie Inch um Inch zurück. Steh auf und lauf; du hast es geschafft. Du hast es geschafft! Lauf. Wenn du läufst, wirst du leben.
Er setzte sich hin, um sich sein versautes Knie anzugucken. Er sah das zerrissene Fleisch, das erste Blut war weggewaschen und frisches Blut war noch nicht nachgeflossen. Es fühlte sich bereits steif an. Er hatte keine Zeit, um sich anzuziehen. Jedenfalls nicht hier. Auf dem Präsentierteller. Am unteren Ende des Sees, wenn er den Bach überquert und den Wald erreicht hätte, würde er die Klamotten anziehen. Bis dahin wäre er trocken. Er begann, am Ufer entlangzulaufen, etwas vom Wasser entfernt und halb vom Gebüsch verborgen. Erst humpelte er, musste sich an das steife Knie gewöhnen, dann bewegte er sich schneller. Einmal blieb er stehen und starrte auf die Insel zurück. Ein paar Krähen erschienen nah an der Westseite, wo das Festland am nächsten war, kreisten mit lockeren Flügelschlägen und ließen sich auf mehreren Bäumen nieder. In seiner Nähe flatterte eine Kohlmeise aus dem Gras auf, landete auf einem Birkenzweig und stieß einen Lockruf aus.
Er erreichte den Schieferstreifen, der bald in eine schmale Sandbank überging. Seine durchnässten Stiefel scheuerten an seinen Füßen. Wenn er sich anzog, musste er seine Socken auswringen. Er bewegte sich weiter, schneller und schneller, dem silbernen Treibholz entgegen, das die Stelle jenseits des Bachs markierte, wo er Martin erschossen hatte. Nur
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