Jagdzeit
hierherbringen sollte.
Eine Krähe begann auf dem Wipfel einer Föhre zu krächzen. Aber Ken hörte sie nicht. Für Ken war die Zeit stehen geblieben. Er konnte nur in der alles durchdringenden logischen Klarheit seiner eigenen schrecklichen Vision verharren. Nichts würde geschehen sein, dachte er, außer dass drei Männer, Greg, Art und er selbst, wie jedes Jahr auf die Jagd gegangen und dann spurlos verschwunden waren. Noch zwei andere Leute würden verschwunden sein, Martin Clement und Nancy Stillman aus Gary, Indiana, hunderte Meilen weit entfernt. Aber niemand würde sie jemals mit Greg und Art und ihm in Verbindung bringen. Nicht einmal, wenn sie Martins Auto fanden.
Es war idiotensicher. Er würde ermordet werden, genau wie Greg und Art; und er selbst hatte alle Vorbereitungen getroffen, damit der Mörder ungeschoren davon kam. Die Ironie des Ganzen brachte Ken schlagartig in die Realität zurück. Plötzlich hörte er die Krähe, sah sie über sich in der Föhre, wurde sich seines eigenen Atems und Herzschlags bewusst, spürte einen sanften Windhauch. Er wurde wieder lebendig und tat mechanisch, was seinem Gefühl nach getan werden musste. Er ging zum Westufer der Insel hinüber und behielt, immer im Schatten der Bäume, das Festland im Auge. Natürlich gab es dort kein Zeichen von irgendetwas oder irgendjemandem. Ken ließ sich für eine Weile im Gebüsch nieder und versuchte, so zu denken, wie Arts Mörder gedacht haben musste. Er hatte also vermutet, dass Art abhauen wollte. Er war zum Festland hinübergegangen, entweder letzte Nacht oder während sie vom Steilufer hinuntergestiegen waren. Er war am Ufer entlang zu der Stelle gegangen, wo Art selbst immer seine Beute abgeknallt hatte, wo der Bach in den See mündete, gleich bei dem alten Ochsenpfad, der Art zur Eisenbahnlinie und in die Freiheit geführt hätte. Das war die beste Stelle, um einen Mann zu erschießen. Man war fast nicht zu sehen und dort hatten alle immer ihre Vorsicht fahren lassen. Art selbst hatte das immer gesagt.
Gottverdammt noch mal, gab es irgendwas, an das der Killer nicht gedacht hatte?
Ken ging geräuschlos durch den Wald zurück, vorsichtig nur aus Respekt vor seiner Lage. Er war sicher, dass der Jäger noch auf dem Festland war.
Er kam zur Hütte. Hier musste er feststellen, dass die Dusche benutzt worden war, genauso wie sein Rasierzeug. In der Küche war eine schmutzige Bratpfanne, eine Kaffeetasse, ein benutzter Teller mit Messer und Gabel. Und ein Zettel, auf dem nur stand: „Danke, bis gleich.“
Ken holte eine neue Bourbonflasche aus dem Schrank und nahm einen großen Schluck. Die Notiz machte ihm mehr zu schaffen als alles andere. Wer auch immer es war, er war sich seiner Sache so sicher, dass er nicht davon ausging, dass Ken jemals entkommen könnte, um den Zettel mit der Handschrift zur Polizei zu bringen.
Zu sicher vielleicht? So verfickt selbstsicher, dass man ihm eine Falle stellen konnte? Oder dass er sich sogar in der eigenen Falle verfing?
Ken dachte scharf nach. Sich wehren oder davonlaufen? Was hatte Art, der idiotische Verräter gesagt? „Warten wir noch vierundzwanzig Stunden.“ Na gut, das würde er tun. Und Art hatte auch gesagt: „Er ist nicht Gott.“ Gut, das war er nicht. Er war ein Mensch und vielleicht nicht intelligenter, kein besserer Schütze und kein erfahrenerer Jäger als er selbst. Er konnte wie jeder andere bekämpft und gejagt werden. Die Chance, ein sorgenfreies Leben zu führen, war reizvoller als der Gedanke, für immer auf der Flucht zu sein, Südamerika oder wo auch immer.
Aber nach Einbruch der Dunkelheit konnte er nicht in der Hütte bleiben. Es war dort wie im Aquarium, und er musste Schlaf finden. Also würde er hinausgehen, zu dem Erdhügel im Sumpf, wo er mit Art die letzte Nacht verbracht hatte und wo er, wenn man sie beide nicht durch irgendein unglaubliches Pech dort gesehen hatte, vielleicht sicherer wäre als irgendwo anders. Am nächsten Morgen bestand die Möglichkeit, dass sein Verfolger noch mal zur Hütte kam. Allzu zuversichtliche Leute benehmen sich so. Sie vergessen, dass sie selbst auch in Gefahr sein könnten. Wie viele Jäger hatten schon auf ein Wildschwein oder einen Löwen geschossen, ihr Ziel verfehlt, gedacht, es wäre abgehauen, um am nächsten Tag ahnungslos zurückzukehren und angegriffen zu werden.
Ken wusste, dass er Zeit hatte. Der Mann würde bis zur Dunkelheit auf dem Festland bleiben. Also rasierte er sich, machte Wasser warm, badete,
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