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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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hat unverhofft sieben Amtspfründen frei für eigene Handlanger, und läßt er einmal seine Memoiren schreiben im Abendlande, könnte er uns Neueres lehren zum Begriff der Heimatfront.
    Die neuen Kommunisten in Prag mögen und mögen nicht die alten vor ordentliche Gerichte ziehen wegen der Morde für Stalin. Amtsenthebungen, ja; Untersuchungsausschüsse, gern; nicht »Begleichen von Rechnungen innerhalb der Partei vor den Augen des Volkes«. Dem Alexander Dubček liegt weniger am Geruch der Rachsüchtigkeit als seinen Vorgängern, und Dubčeks Genossen gehorchen seinem dringenden Begehren, den Anteil der Sowjets an den Verbrechen der fünfziger Jahre nicht bloßzustellen, die Freunde ja zu schonen. Was geht das die Leute an außerhalb der Partei, mögen sie doch verlangen nach einer öffentlichen Reinlichkeit; noch wird nicht gegen sie regiert, aber dieser Wunsch wird ihnen verweigert. Sie waren ja bloß dabei, auch innerhalb, nur nicht innerhalb der Partei.
    Hanna Ohlerich hatte warten wollen bis Ostern 1946
.
Dann sollte Cresspahl entlassen sein zu seiner Werkstatt und sie Lehrling in seinem Gewerbe. Das nahm sie als versprochen; danach mußte sie sich zwingen. Sie fing an Briefe zu schreiben, nicht einmal heimlich, Frau Abs sollte es sehen. Lesen ließ sie Jakobs Mutter davon nichts.
    Sie war gleich zu ihr übergelaufen, doch nur zu einer Person ähnlich wie eine Mutter, von der sie Trost erwartete, Hilfe. (Ungefähr war zu erraten, was für einen Hausstand die alten Ohlerichs geführt hatten. Was auf sie zukam, hatte der Alte angenommen, was nach außen getan wurde, entschied er. Die Mutter hatte die Küche, den Keller, die Wohnung verwalten dürfen, doch unter seiner Aufsicht. Sein Wort war das letzte, und blieb hinlänglich erklärt durch seinen Willen, noch bis zu dem Strick, den er ihr gab, und dem, den er für sich nahm. Streng, auch zärtlich, leicht zu bewundern von einem Kind. So wie er nach innen Herrschaft geübt hatte, war er nach außen Schutz gewesen.) Das traute sie Cresspahl zu, nicht einer Frau.
    Auf Jakob verließ sie sich noch, ging ihm an vielen Abenden hinterher auf den Hof, so daß er seine Einzelhandelsgeschäfte verschob und mit ihr zum Bruch zog, zwei müßige Spaziergänger in der feuchten Maidämmerung, schlendernd wie ein Paar seit langem und für immer (dann mochte das Cresspahlsche Kind nicht wahrgenommen werden als ein allein gelassenes, ganz ohne eine angemessene wie verdiente Gesellschaft, und verzog sich in den Walnußbaum, streng bedacht, nicht nach Westen zu sehen, wo die beiden undeutlich wurden im Wolkendunst vor der sinkenden Sonne). Jakob durfte die Zettel lesen, die mehr ihn angehen sollten als die warnemünder Verwandtschaft. Sie kamen ihm flehentlich vor, als müsse Hanna gerettet werden aus einer Räuberhöhle, die gefährlicher wurde mit jedem Tag, den Cresspahl nicht zurückkam in sein Haus. »Holt mich raus« stand da. Jakob verstellte sich als großen Bruder und erklärte Hanna nichts als den Unterschied zwischen ihrer Lage und ihrer Beschreibung davon, er redete ihr den Verdacht gegen die Warnemünder aus und gegen Erwin Plath ein, bis sie schließlich tat, als habe sie nur Zuspruch gewollt. Er war nicht zufrieden mit sich als Vorstand des Haushalts.
    Er trug Gesine auf, die Freundin pfleglich zu behandeln, sie wußte gar nichts von unpfleglichen Taten gegen Hanna. Was gab es denn, das sie nicht teilten? Sie lagen in einem Bett, eine mochte nicht einschlafen ohne die andere, gemeinsam schrieben sie für die Schule an Cresspahls Tisch, wortlos vor Einigkeit standen sie in der langen Schlange an um das klitschige Papenbrockbrot, Stadtfremde hielten sie für Schwestern. Wenn Gesine bei Jakob Geld abhob über die wöchentliche Zuteilung hinaus, sie hielt die Hand noch einmal auf für Hannas Anteil, und zusammen gingen sie zum Markt, bei Wollenberg je eine Tüte Grassamen zu kaufen, um etwas zu kaufen, weil Wollenberg einmal etwas verkaufen wollte, und eine begoß der anderen das Versuchsfeld. Hielt sie die Freundin nicht wie einen Gast? nahm von Jakob zum Geburtstag Lisbeths Box, die er von Vassarion zurückgekauft hatte, und gab sie zur Hälfte in Hannas Eigentum? noch die vierzig Pfennig Gebühr für Hannas Lebensmittelkarte legte sie aus, wie es sich gehörte, ohne Bedauern. Sie teilten den Hunger, die Furunkel, einmal sogar ein Care-Paket. Jakob wußte das, was mochte der sich denken?
    Das Paket war nicht mehr vollständig, nur noch ein Klumpen U. S.-Schmalz, zwei

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