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Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Jahrmarkt der Unsterblichkeit

Titel: Jahrmarkt der Unsterblichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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würde? Auch früher hatte sein Spiel oft genug schlecht gestanden, und er war doch irgendwie damit fertig geworden...
    Hannah erschien, von Clary begleitet. Sie hatte Bergschuhe und einen schweren Wollmantel mit Kapuze als Schutz gegen die eisige Luft angezogen. Gleichzeitig tauchten auf dem unteren Weg Dr. Levi, Ben-Isaak und der Bote auf. Dr. Levi hatte eine kleine Taschenlampe, die aber bei dem strahlenden Licht der Sterne und der Sichel des zunehmenden Mondes kaum nötig gewesen wäre. Die schmale Straße und die weißen Häuser, die sich an den Steilhang schmiegten, waren in das nächtliche Licht getaucht, das die Schneekappe des über ihnen aufragenden Hermon zurückwarf. Selbst die dunkel gähnenden Höhleneingänge waren deutlich sichtbar.
    Sie kamen an das große, steinerne Ratsgebäude; der Bote zog den Vorhang zur Seite, und sie traten durch die Tür.
    Sears sah sofort, daß es die gleiche Versammlung war, an der er am Nachmittag mit so geringem Erfolg teilgenommen hatte; die sieben Männer erhoben sich bei ihrem Eintritt sofort. Darauf hielt Barzillai eine Ansprache, die an Hannah gerichtet war; sie fragte Dr. Levi in scharfem Ton: «Was ist? Was sagt er? Was soll geschehen? Reden Sie! Sofort!»
    Sears fragte Ben-Isaak: «Verstehst du irgend etwas von dem, was er sagt?»
    «Nein. Aber vielleicht hast du alles verdorben.»
    Erst als Barzillai seine Ansprache beendet hatte, erwiderte Dr. Levi auf Hannahs Fragen: «Sie übermitteln Ihnen Frieden und Grüße und sagen, sie seien geehrt, weil Sie zu ihrem Rat gekommen sind.» Dann setzte er hinzu: «Ich werde ihnen danken. Was auch geschehen mag, Miss Bascombe, ich bitte Sie dringend, Geduld zu wahren.»
    Clary legte die Hand auf Sears’ Arm. «Ich habe Angst», sagte sie.
    «Wovor? Daß sie es ihr nicht geben?»
    «Nein», erwiderte sie mit einem Schaudern, «daß sie es doch tun.»
    Es folgte feierliches Händeschütteln, darauf wurde, wie unvermeidlich, langsam und schweigend Kaffee getrunken; die Zeit erschien Hannah endlos und riß heftig an Sears’ Nerven. Er überlegte, was diese Begrüßung bedeuten könne, kam jedoch zu keinem Ergebnis. Es war orientalische Höflichkeit, nicht mehr, und konnte durchaus die Nachricht einleiten, daß sie das Dorf verlassen mußten.
    Um sich zu beruhigen, studierte Sears die Gesichter von Amalkeh und Barzillai noch einmal; er wollte das Geheimnis ihrer Alterslosigkeit ergründen. Selbst in dem trüben rauchigen Licht der offenen Lampen aus rotem Ton, in denen ein Baumwolldocht in Öl schwamm — Lampen, die schon alt waren, als Josef lebte — sah er, daß man eigentlich nicht sagen konnte, sie seien nicht gealtert; der Altersprozeß schien vielmehr verlangsamt und irgendwie aufgehalten zu sein, so, als ob sich irgend etwas anderes darüber gelegt habe. Es sah fast so aus — und das wurde durch das flackernde gelbe Licht noch verstärkt — als blicke man durch einen dünnen Überzug von Eis und sehe die Konturen von Haut und Knochen unter dieser Eisfläche, für alle Ewigkeit konserviert.
    Nun erhob sich Barzillai und stand eine Weile schweigend da; es war, als fülle er den ganzen Raum mit der Kraft und dem Geheimnis seiner Persönlichkeit und seiner adeligen Größe. In der Stille hörte Sears, wie sein Herz gegen die Rippen hämmerte. Darauf griff der große Älteste mit einer Bewegung, die fast wie die eines Zauberers wirkte, in die Falten seines langen, wollenen Mantels und brachte einen kleinen, runden Tiegel aus bläulich glasiertem Ton, etwa zehn Zentimeter im Durchmesser und mit einem Deckel versehen, zum Vorschein.
    Sears hörte Hannahs langgezogenes Einatmen und fühlte mehr, als er es sah, wie sie sich vorwärtsbewegte. Einen Augenblick lang hatte er entsetzliche Angst, sie könne jede Beherrschung verlieren, hinstürzen, den braunen Händen den Tiegel entreißen und anfangen, sich den Inhalt in den Mund zu stopfen. Er legte ihr sanft die Hand auf den Arm, um sie zurückzuhalten, und war überrascht, als er merkte, daß Dr. Levi auf der andern Seite das gleiche getan hatte.
    Clarys Augen weiteten sich vor Furcht, und ihre Hand fuhr in einer Bewegung der Verzweiflung zum Mund empor. Ben-Isaak beugte sich vor und flüsterte ihr etwas zu.
    Nun winkte Barzillai Dr. Levi zu, der sich erhob. Als er dem Ältesten gegenüberstand, begann dieser in seiner Sprache zu reden — langsam und deutlich, mit gemessenem Tonfall und tiefem Nachdruck.
    Es war eine lange Ansprache, und während ihres rollenden, klangvollen

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