Jake Djones und die Huter der Zeit
Dunkelheit vor ihm und ging vorsichtig hinauf. Auf dem Scheitel der Brücke angekommen, sah er eine Gruppe von Leuten dicht beieinanderstehen, die aus Flaschen tranken und sich mit rauen Stimmen unterhielten. Als er auf ihrer Höhe war, verstummte das Gespräch abrupt, und sie starrten ihn unverhohlen an.
Jake blieb stehen. »Kirche? Duomo? San Marco?«, fragte er in gebrochenem Italienisch.
Einen Moment lang bekam er keine Antwort, dann deutete eine Frau mit verfilztem, rotem Haar und einem übel geschwollenen Auge wortlos auf eine düstere StraÃe am anderen Ende der Brücke.
Jake nickte und ging weiter, während die Gruppe ihm schweigend nachblickte und sich schlieÃlich wieder ihrer Unterhaltung widmete.
Als Jake die Piazza San Marco erreichte, schlug die Turmuhr gerade fünf Uhr. Der Platz war riesig. Der Campanile ragte hoch in den Morgenhimmel auf. Gleich daneben sah Jake die märchenhaft anmutenden Kuppeln und Türmchen des Doms, und zu beiden Seiten der Piazza erstreckten sich imposante, ockerfarbene Gebäude mit mehrstöckigen Arkaden davor, deren von Sonne und Seeluft gebleichten Baumwollmarkisen sich sanft in der morgendlichen Brise blähten. Die Sonne ging bereits auf, während die ersten, noch verschlafenen Venezianer sich an ihr Tagwerk machten.
Jake blickte sich vorsichtig um, während er die Piazza überquerte. Als er an einem alten, bärtigen Mann in zerrissener Kleidung vorüberkam, der ihn mit zusammengekniffenen Augen beobachtete, beschleunigte er seine Schritte und fand zu seiner Ãberraschung die Eingangstüren des Doms weit offen.
Im Inneren der Kirche wimmelte es bereits vor Geschäftigkeit. Die Sitzbänke waren entfernt worden, überall lagen Sägespäne auf dem marmornen Boden, Gänse und Schafe liefen frei umher, und irgendwo sah Jake sogar eine Kuh, die gemächlich wiederkäute; dazwischen Menschen, die eifrig um Stoffe, Gewürze und Töpferwaren feilschten, sich lebhaft unterhielten oder in schattigen Winkeln vor sich hin dösten.
Vor einer der Längsseiten ragte ein hölzernes Gerüst auf. Oben auf der zerbrechlich wirkenden Konstruktion stand ein Mann mit einem rechteckigen Hut auf dem Kopf und arbeitete an einem Fresko. Die Umrisse der Figuren waren bereits fertig, und der Maler schickte sich an, die Flächen dazwischen mit einem leuchtend blauen Himmel zu füllen.
Wie hypnotisiert trat Jake näher an das Gerüst und fragte sich, ob es sich bei dem Maler um einen berühmten Meister handelte; Leonardo da Vinci oder Michelangelo vielleicht, überlegte er.
Der Maler, der Jakes neugierige Blicke zu spüren schien, schaute kurz nach unten und zwinkerte ihm zu, dann widmete er sich wieder seiner Arbeit.
In diesem Moment registrierte Jake am Rand seines Gesichtsfelds eine Gestalt, bei deren Anblick er unwillkürlich die Luft anhielt: Sie war in eine scharlachrote Kutte gewandet und schritt zielstrebig durch die Kirche. Jake senkte den Kopf und drehte sich ein Stück weg, beobachtete den Mann aber weiter aus dem Augenwinkel.
Schon wenige Momente später verschwand er in einer Art hölzernem Verschlag am anderen Ende des Kirchenschiffs.
Möglichst unauffällig ging Jake in dieselbe Richtung, und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Beichte, Markusdom, Amerigo Vespucci . Der hölzerne Verschlag, in dem der Kuttenträger verschwunden war, war nichts anderes als ein Beichtstuhl! Jake stellte sich hinter eine der Steinsäulen und spähte vorsichtig um die Ecke.
Der Beichtstuhl hatte zwei Abteile. Die eine Kabine, in der wahrscheinlich der Priester saÃ, war verschlossen, die Tür zur anderen stand offen, und hinter dem nur halb zugezogenen Vorhang sah Jake den leuchtend roten Umhang.
Bis er plötzlich verschwand.
»Was?!«, entfuhr es Jake, während er sich ein Stückchen weiter hinter der Säule hervorwagte, um besser sehen zu können. Kein Zweifel: Die Beichtkabine war leer.
»Per piacere.«
Eine helle Stimme direkt neben seinem Ohr lieà Jake zusammenfahren. Als er sich umdrehte, stand vor ihm eine alte Frau, die ihm die von tiefen Falten zerfurchten Hände entgegenstreckte. Eines ihrer Augen war durchgehend milchig weiÃ.
»Per piacere« , wiederholte sie und stieà ihm die knochigen Finger in die Rippen.
Jake lächelte verhalten und dachte an den Lederbeutel, den Nathan ihm gegeben hatte. Ganz langsam zog er ihn hervor, nahm
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