Jakob der Luegner
die letzte einer verschwenderischen Vielzahl von Meldungen an alle. Daß sie ihm, wenn es ihre schwachen Kräfte erlauben, nicht böse sein sollen, er hat nämlich gar kein Radio, er hat nie eins besessen. Er weiß auch nicht, wo die Russen sind, vielleicht kommen sie morgen, vielleicht kommen sie nie, sie stehen in Pry oder in Tobolin oder in Kiew oder in Poltawa oder noch viel weiter entfernt, vielleicht sind sie inzwischen sogar vernichtend geschlagen, nicht einmal das weiß er. Das einzige, was er mit Gewißheit sagen kann, sie haben vor so und so langer Zeit um Bezanika gekämpft, woher die Gewißheit, das ist eine ganze Geschichte für sich, die interessiert heute keinen Menschen mehr, jedenfalls ist es die Wahrheit. Und daß er sich wohl vorstellen kann, wie bestürzend dieses Geständnis in ihren Ohren klingen muß, darum noch einmal die Bitte um Nachsicht, er wollte nur das Beste, aber seine Pläne haben sich zerschlagen.
Dann ist es lange still im Zimmer, ein König hat gewissermaßen abgedankt. Jakob versucht vergeblich, in Kowalskis Gesicht Bewegung zu entdecken, der sieht durch ihn hindurch und sitzt wie eine Salzsäule. Natürlich fallen Jakob, kaum ist das letzte Wort verklungen, Gewissensbisse an, nicht wegen der Mitteilung selbst, die war notgedrungen fällig und duldete keinen Aufschub. Aber ob man sie schonender hätte vortragen können, eventuell in einen Rückzug der Russen eingebettet, die ganze Last nicht mit einemmal auf andere Schultern abwälzen, die auch nicht breiter sind als die eigenen.
Ob Kowalski unbedingt der richtige Mann war, in dessen Gegenwart der Schlußstrich gezogen werden mußte, gerade Kowalski. Wenn er es von einem Fremden gehört hätte, von einem Jakob nicht so Nahestehenden, sicher hätte er an einen Irrtum geglaubt oder an gehässige Verleumdung, nach einer Nacht voller Zweifel hätte er dir gesagt: »Weißt du, was sich die Idioten erzählen? Daß du kein Radio hast!« – »Das stimmt«, wäre dann die Antwort gewesen, sie hätte ihn auch getroffen, aber vielleicht nicht so sehr, weil er in der Nacht zuvor diese Möglichkeit zumindest erwogen hätte. Und es wäre auch irgendwie einzurichten gewesen, genau so, Kowalskis Pech, daß er ausgerechnet an diesem Abend gekommen ist.
»Du sagst nichts?« sagt Jakob.
»Was soll ich sagen.«
Aus unergründlichen Tiefen fördert Kowalski sein Lächeln, ohne dieses Lächeln wäre er nicht Kowalski, sieht Jakob auch wieder an, mit Augen zwar, die weniger lächeln als der Mund, aber dennoch nicht vom Ende aller Hoffnung künden, eher pfiffig blicken, als sähen sie, wie immer, so auch diesmal hinter die Dinge.
»Was soll ich sagen, Jakob? Ich verstehe dich schon, ich verstehe dich sehr gut. Weißt du, ich bin so ziemlich das Gegenteil von einem Husaren, du kennst mich lange genug.
Wenn ich hier ein Radio gehabt hätte, von mir hätte wahrscheinlich kein Mensch ein Wort erfahren. Oder noch wahrscheinlicher, ich hätte es aus Angst einfach verbrannt, ich mache mir da gar nichts vor. Ein ganzes Ghetto mit Nachrichten zu beliefern! So weit wäre ich nie gegangen, weiß man, wer mithört? Wenn ich irgendwann im Leben jemand verstanden habe, dann dich jetzt.«
Solchen Flug der Gedanken konnte Jakob nicht erwarten, der durchtriebene Kowalski hat sich selbst übertroffen, hat seine Berechnungen sogar da angestellt, wo es nichts zu rechnen gab.
Wie willst du ihn überzeugen, daß du wenigstens jetzt die Wahrheit sagst, du kannst ihm höchstens anbieten, alle Winkel in Stube und Keller zu durchstöbern.
Doch mit nach außen gekehrten Handflächen beteuern:
»Wann habe ich dich je belogen?«, das kannst du nun nicht mehr. Und wenn du ihn tatsächlich aufforderst zu suchen, alle Radios, die du bei mir findest, Kowalski, gehören dir, er wird dir wissend zublinkern und etwas Ähnliches entgegnen wie: »Lassen wir doch die Späße, Jakob, wozu kennt man sich vierzig Jahre?«
Er wird dir zu verstehen geben, daß jedes Versteckspiel überflüssig ist, Unmögliches läßt sich durch nichts beweisen, Jakob sagt erschrocken: »Du glaubst mir nicht?«
»Glauben, nicht glauben, was heißt das schon«, sagt Kowalski, leise und abwesender als erwartet, in einem ähnlichen Tonfall wie Jakob eben, bei seiner kleinen Rede an alle.
Weiter sagt er nichts, vorerst, er klopft mit den Fingern ein getragenes Motiv auf den Tisch und hält den Kopf weit zurückgelehnt, in verborgene Gedanken vertieft.
Jakob erwägt weitere Rechtfertigungen, er legt
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