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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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gehört Lina.
    Vor langer Zeit ist Jakob auf dem Flur mit ihr stehengeblieben, vor seiner Tür, und hat gesagt: »Paß jetzt gut auf, Lina, wenn irgendwas ist, damit du den Schlüssel zu meinem Zimmer findest«, hat er gesagt. »Hier hinter dem Türrahmen ist ein kleines Loch in der Mauer, siehst du? Hier lege ich den Schlüssel jetzt rein, dann kommt der Stein wieder davor. Man kann ihn ganz leicht wegnehmen, wenn du dich auf die Zehenspitzen stellst, bist du groß genug. Versuch es.« Lina hat es versucht, sie hat sich gereckt, den Stein fortgenommen, den Schlüssel mit allerletzter Mühe gegriffen und hat ihn stolz Jakob hingehalten. »Wunderbar«, hat Jakob gesagt, »merke dir die Stelle gut. Ich weiß selbst nicht wozu, aber vielleicht ist es einmal wichtig. Und noch eins, verrate die Stelle keinem.«
    Lina muß sich inzwischen nicht mehr auf die Zehenspitzen stellen, zwei Jahre ist sie dem kleinen Loch hinter dem Türrahmen unermüdlich entgegengewachsen. Wenn was ist, hat Jakob gesagt, heute ist was, Lina holt sich den Schlüssel, sperrt auf und steht mit angehaltenem Atem im leeren Zimmer. Ein bißchen Angst hat sie schon, die wird verfliegen, wenn Jakob unerwartet hereinkommt, dann sagt sie ihm einfach, sie macht nur etwas Ordnung. Die Absichten, von denen sie getrieben wird, sind abenteuerlich, er wäre kaum mit ihnen einverstanden, aber was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.
    Auf ihrem Weg gibt es zwei Hindernisse, da macht sie sich nichts vor, das erste ist das Versteck, das vorläufig unbekannte, das zweite ist, sie weiß nicht, wie ein Radio aussieht. Verstecke gibt es nicht unbegrenzt in diesem Zimmer, nach wenigen Minuten hat man es auf den Kopf gestellt, viel schwerer scheint das zweite Hindernis. Alles mögliche hat Jakob einem erklärt, sie könnte zum Beispiel fließend einen Omnibus beschreiben, obgleich sie ihm noch nie von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hat, sie könnte Bananen erzählen, Flugzeuge, Bären, die zu brummen anfangen, wenn man sie auf den Rücken legt. Bei der Stromsperre damals ist Jakob mit ihr sogar den höchst geheimnisvollen Weg entlanggegangen, den das Licht vom Kohlenbergwerk bis in die kleine Lampe unter der Decke zurücklegt, aber von einem Radio hat er nie ein Wort verloren. Einige spärliche Anhaltspunkte hat man: Alle reden davon, sein Besitz ist verboten, es verrät einem Dinge, die man vorher nicht weiß, es ist so klein, daß man es gut verstecken kann.
    »Zeigst du mir morgen dein Radio?« hat sie ihn gestern abend gefragt, als er nach Kowalskis mißglücktem Besuch zu ihr auf den Boden gekommen ist.
    »Nein«, hat er gesagt.
    »Und übermorgen?«
    »Auch nicht.«
    »Und überübermorgen?«
    »Ich habe gesagt, nein! Und jetzt Schluß damit.«
    Selbst ihr sonst unfehlbarer Augenaufschlag ist ohne jede Wirkung geblieben, Jakob hat nicht einmal hingesehen, deshalb ihr neuer Anlauf nach einer verstimmten Pause:
    »Zeigst du es mir überhaupt mal?«
    »Nein.«
    »Und warum nicht?«
    »Darum.«
    »Sagst du mir wenigstens, wie es aussieht?« hat sie dann gefragt, ihren Plan schon halb im Kopf. Aber auch darauf hat er die Antwort verweigert, und so ist aus ihrem halben Plan ein ganzer geworden.
    Kurz und gut, Lina muß ein Ding suchen, von dem sie nichts anderes weiß, als daß Jakob es versteckt hält, ein Ding ohne Farbe, ohne Form und Gewicht, ein Glück nur, daß Jakob soviel unbekannte Dinge nicht im Zimmer haben kann. Das erste, das sie findet und noch nie gesehen hat, das muß nach menschlichem Ermessen den Namen Radio tragen.
    Lina beginnt mit den vordergründigen Verstecken, unter dem Bett, auf dem Schrank, in der Tischschublade. Möglicherweise ist ein Radio so groß, daß es überhaupt nicht in eine Tischschublade paßt, vielleicht würde jeder, der zusieht, laut lachen, daß Lina dort ein Radio sucht. Aber es ist nicht ihre Schuld, daß Jakob so verstockt schweigt, und außerdem sieht keiner zu. In der Schublade ist es nicht, da ist gar nichts, unter dem Bett und auf dem Schrank liegt nur Staub. Bleibt noch der Schrank von innen, sonst gibt es kein Versteck, der hat zwei Türen, eine oben, eine unten. Die obere könnte man sich im Grunde sparen, dahinter stehen die vier Teller, zwei tiefe und zwei flache, die beiden Tassen, von denen Lina eine beim Abwaschen auf die Erde gefallen ist und den Henkel gelassen hat, dann noch ein Messer und zwei Löffel, die immer leere Zuckerdose, und das Essen liegt dahinter, sofern vorhanden.
    Hinter dieser Tür

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