Jamey. Das Kind, das zuviel wußte
hätte.
»Hatte sie schon vorher mit Kindern zu tun?«
»Nein, sie studierte Anthropologie. Sie machte einen Magister und promovierte dann. Sie ist ein Naturtalent.«
In einem Kraftakt brachte ich ihn dazu, mir zu erzählen, wie sich Jameys Psychose entwickelt hatte. Was er sagte, erinnerte mich an das, was Sarita Flowers mir berichtet hatte: ein langsamer, aber unaufhaltsamer Prozess, von dem man allzu lange nichts bemerkte, weil sich die Krankheit des Jungen in immer neuer Gestalt zeigte.
»Wann haben Sie angefangen, sich echte Sorgen zu machen?«
»Als er begann, sich wie ein Wilder aufzuführen, und wir Angst bekamen, dass er Jennifer und Nicole etwas antun könnte.«
»Hat er sie bedroht? Ist er handgreiflich geworden?«
»Nein, er war einfach biestig zu ihnen. Dauernd kritisierte er sie, aber auf unglaublich zynische Weise. Manchmal nannte er sie kleine Hexen. Es geschah nicht oft, denn er wohnte seit seinem sechzehnten Geburtstag im Gästeapartment oberhalb der Garage. Wir sahen ihn nur selten, waren aber trotzdem betroffen.«
»Und vorher, wohnte er da im selben Haus wie die Familie?«
»Ja, er hatte ein eigenes Zimmer und ein Bad für sich.«
»Warum zog er denn ins Gästeapartment um?«
»Er sagte, er wolle für sich sein. Wir redeten darüber und erklärten uns einverstanden. Er hielt sich sowieso meist allein in seinem Zimmer auf, und so änderte sich im Grunde nur wenig.«
»Trotzdem kam er immer wieder in Ihre Wohnung und ärgerte die Mädchen?«
»Von Zeit zu Zeit kam er, vier- bis fünfmal im Monat, meistens, um zu essen. Er hatte eine Küche bei sich drüben, aber er kochte nie. Er wühlte bei uns im Kühlschrank herum, nahm sich Reste, die er dann an das Waschbecken gelehnt im Stehen aß, er schlang sie herunter wie ein Tier. Heather bot ihm immer wieder an, sich hinzusetzen, sie wollte auch für ihn kochen, aber er lehnte immer ab. Dann wurde er Gesundheitsfanatiker und hörte mit der Klauerei auf. Wir sahen ihn noch weniger, was wir als Segen empfanden, denn jedes Mal, wenn er kam, kritisierte er alles in Grund und Boden. Erst dachten wir, es wäre nur Trotz, dann erst merkten wir, dass es mit seiner Psyche bergab ging.«
»Woran haben Sie das gemerkt?«
»Wie ich schon vorher sagte, seine Wahnsinnsausbrüche. Er war schon immer ein argwöhnisches Kind gewesen, vermutete hinter allem und jedem etwas. Aber dies hier war anders. Er kam in die Küche, roch an dem Essen wie ein Hund, begann zu schreien und sagte, dass es vergiftet sei, dass wir ihn umbringen wollten. Wenn wir versuchten, ihn zu beruhigen, beschimpfte er uns mit den schlimmsten Ausdrücken. Er wurde rot im Gesicht und hatte einen wilden Blick, er sah sich forschend um, als sei er in einer fremden Welt und als höre er jemandem zu, der mit ihm redete. Später erzählte Dr. Mainwaring uns, dass er Halluzinationen hatte und Stimmen hörte. Da wussten wir dann, was es war.«
»Können Sie sich noch erinnern, mit welchen Worten er Sie beschimpfte?«
Cadmus sah bedrückt aus.
»Er sagte, dass wir stinken, dass wir Wüstlinge und Zombies seien. Eines Tages zeigte er mit dem Finger auf Jennifer und Nicole und nannte sie Zombieweiber. Da wussten wir, dass wir etwas unternehmen mussten.«
»Was für ein Verhältnis hatte er zu Ihren Töchtern, bevor er wahnsinnig wurde?«
»Als sie klein waren, verstanden sie sich gut. Bei Jennifers Geburt war er zehn, als Nicki zur Welt kam, zwölf, zu alt, um eifersüchtig zu sein. Heather ermutigte ihn, sich mit ihr um die Babys zu kümmern. Er wechselte Windeln, brachte sie zum Lachen. Er konnte sehr fantasievoll sein, wenn er wollte, er spielte ihnen oft Kasperlestücke vor. Als er älter wurde, so ungefähr vierzehn, verlor er die Lust. Für die Mädchen war das nicht leicht, denn bis dahin hatte er ihnen seine ganze Aufmerksamkeit gewidmet, und jetzt sagte er plötzlich: ›Geht weg, lasst mich in Ruhe‹, aber in einem sehr unfreundlichen Ton. Es sind zwei wunderbare Mädchen, sehr beliebt, mit vielen eigenen Ideen. Sie wurden schnell mit der neuen Lage fertig und gingen Jamey aus dem Weg, ohne dass wir es ihnen hätten sagen müssen. Aber wir machten uns trotzdem Sorgen.«
»Brachte Sie das auf die Idee, einen Therapeuten zu suchen?«
»Wir fingen damals an, uns darüber Gedanken zu machen. Der Stein kam erst wirklich ins Rollen, als er unsere Bibliothek zerstört hatte.«
»Wann geschah das?«
Er holte tief Atem.
»Etwa drei Monate ist es her. Es passierte nachts. Wir waren
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