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Jane Christo - Blanche - 01

Jane Christo - Blanche - 01

Titel: Jane Christo - Blanche - 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Erzdämon
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das Restaurant
La Marmite
, das in ständigem Clinch mit dem gegenüberliegenden
La Fourmi
lag. Mittlerweile hatte das Nachtleben Paris fest im Griff. Aufreißer, Prostituierte und Drogendealer säumten die Rue des Martyrs. Blanche hatte ihr Ziel fast erreicht. Sie verlangsamte ihre Schritte, um sich zu beruhigen. Es war Jahre her, seit sie das letzte Mal einen Fuß in diese Gegend gesetzt hatte. Madame Arthurs knallrotes Haus hatte sich kein bisschen verändert, dafür standen die meisten anderen Geschäfte leer, wie Antoine’s Lebensmittelgeschäft oder Isabelle’s Obstladen ein Haus weiter. An der Ecke zu der Sackgasse hatte ein Thailänder aufgemacht. Den hatte es früher noch nicht gegeben.
    Und dann lag sie plötzlich vor ihr, die Rue André Gill, die drei lange Jahre Andrejs und ihr Zuhause gewesen war.
    Gegen ihren Willen wanderten ihre Gedanken zu der Zeit, als sie mit acht Jahren aus dem Heim der
Barmherzigen Schwestern
weggelaufen war. Von wegen barmherzig. Die meisten Schwestern waren intrigante Heuchlerinnen, die jedes Aufblitzen von Gegenwehr zum Anlass nahmen, ihren Schutzbefohlenen die Seele aus dem Leib zu prügeln. Dabei hatte Blanche, der die besondere Aufmerksamkeit der Äbtissin zuteilwurde, das große Los gezogen. Deren Zuwendungen hatten über die Jahre ein ansehnliches Muster auf ihrem Rücken hinterlassen. Und obwohl diese Narben nie ganz verblassen würden, stellten ihre inneren Wunden die größere Bürde dar, weil sie es nie gewagt hatte, sich dem Schmerz zu stellen. So blieb er jahrelang konserviert, gepaart mit dem Gefühl der Hilflosigkeit. Ein Mix aus Nitro und Glycerin. Für sich genommen waren diese Komponenten harmlos, doch zusammen ergaben sie eine explosive Mischung, die bei der kleinsten Erschütterung hochgehen konnte.
    „Es ist zu deinem Besten.“
    Bei der Erinnerung an die geflüsterten Worte zwischen den Stockhieben lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Eine Woche zuvor hatte die Schwester Oberin Blanches schwarze Haarpracht abgeschnitten, um sie vor der Sünde des Stolzes zu bewahren. Auch das war zu ihrem Besten gewesen.
    Einen Anlass zur Schikane gab es immer. Senkten sie den Kopf nicht schnell genug, hagelte es Ohrfeigen, saß eines der Mädchen mit krummem Rücken da, gab es ebenfalls welche. Zu lautes Beten wurde genauso bestraft wie zu leises. Es war ein Spiel, das sie nicht gewinnen konnten. Eines, das sich die Schwestern ausgedacht hatten und dessen Regeln sie täglich änderten.
    So kreativ sie beim Aufstellen neuer Gebote waren, ihre Sprüche klangen immer gleich: „Wir müssen dir den Teufel austreiben, du trägst böses Blut in dir!“
    Böses Blut. Wie oft hatte sie sich diesen Quatsch anhören müssen. Vielleicht traf das ja wirklich auf sie zu, denn je mehr sie bestraft wurde, desto öfter reizte sie die Schwestern. Sie schuf ihr eigenes Spiel, in dem ihre innere Stimme der Schiedsrichter war. Gab sie während einer Strafaktion einen Laut von sich, stand es eins zu null für die Hexen. Bekamen die sie nicht klein, hatte sie das Spiel gewonnen. Kam sie mit einem Diebstahl durch, ohne erwischt zu werden, stand es zwei zu null für Blanche. Das war allerdings nicht oft der Fall und so musste sie sich meistens mit einem eins zu eins zufriedengeben.
    Ihre Weigerung, während einer Bestrafung ihren Schmerz mit den Schwestern zu teilen, bestärkte deren Ehrgeiz, dem widerspenstigen Kind den Stolz auszutreiben, den sie nur vom Teufel haben konnte.
    Einige Wochen vor ihrer Flucht hatte sie den Schlüsselbund der Schwester Oberin gestohlen, die sie zu drei Wochen Fasten verdonnert hatte. Blanche war hungrig und die Speisekammer war der ideale Ort, das zu ändern. Da sie nicht die Einzige war, die unter Hunger litt, schloss sich ihr schon bald eine ganze Kinderschar an. Und obschon sich die Mädchen Mühe gaben, leise zu sein, wurden sie erwischt. Die Gruppe handelte sich eine zusätzliche Strafe ein und wurde zu weiteren drei Wochen Hunger verurteilt. Blanche, die sogleich als Anstifterin identifiziert wurde, kam in den Genuss einer Sonderbehandlung der Äbtissin, die diesmal gar nicht erst versuchte, ihren Hass auf das Teufelskind hinter frommen Sprüchen zu verstecken. Sie zog ihr den Stock wieder und wieder über den entblößten Rücken und war erst zufrieden, als Blanche blutend zusammenbrach. Zwei Tage später erwachte sie in der Krankenstation, bandagiert wie eine Mumie. Es dauerte Wochen, bis sie die Verbände ablegen konnte, gegen die Schmerzen bekam sie

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