Jane Christo - Blanche - 01
Sankt-Petersburgern oder Moskauern. Im Moment hieß das größte Schwein Zoey. Grundgütiger, woher hatte er nur diesen lächerlichen Namen, war der eine Kelloggs-Beigabe? Mittlerweile wusste er, dass der Junge Alexander Viktorowitsch Petrow hieß und Victors Sohn war. Dass Leo seine Ankunft in Paris nicht bemerkt hatte, gab ihm zu denken. Seine Pfandleihe war einer der Dreh- und Angelpunkte der Gerüchteküche in Paris. Wenn jemand von seinen Jungs etwas wusste, kam er als Erstes zu ihm. Zoey musste den Ball flach gehalten haben, denn in diesem Fall war Leo der Letzte, der von der Rückkehr des verlorenen Sohns erfahren hatte.
Doch im Moment beschäftigte ihn weniger das Wie-konnte-das-passieren als vielmehr: Wie sollte er mit den Folgen leben? Er würde Renée nicht wiedersehen, daran gab es keinen Zweifel.
Leo schloss die Augen und dachte an die Frau, an deren Seite er die letzten zwanzig Jahre verbracht hatte. Sie war keine Schönheit, dafür hatte das Leben gesorgt. Tiefe Sorgenfalten waren wie Ackerfurchen in ihre Stirn gegraben. Ihre Haut hatte an Spannkraft verloren und in den letzten Jahren war sie üppiger geworden. Renée war darüber nicht glücklich, doch Leo mochte es, denn sie war an den richtigen Stellen runder geworden, weicher. Er hatte eine Schwäche für Frauen mit Kurven und Renées Kurven mochte er besonders. Ihr volles Haar war nicht von Natur aus rot, das wusste er von Anfang an. Dennoch hatte sie versucht, es vor ihm zu verbergen. Einmal war er so dumm gewesen, sie darauf anzusprechen, doch sie hatte nur gelacht. Er liebte es, sie zum Lachen zu bringen, denn sie war keine Frohnatur. Davon abgesehen fand er ihr tiefes Gelächter erregend, genau wie den kecken Augenaufschlag. Obwohl sie die zwanzigjährige Renée schon lange hinter sich gelassen hatte, konnte sie ihn noch genauso um den Finger wickeln wie damals, als er sie kennenlernte.
In den gemeinsamen Jahren war er ihr treu geblieben – warum hätte er sich auch nach anderen Frauen umsehen sollen? Renée war alles, was er wollte: ehrlich, geradlinig und loyal. Er liebte sie und hatte ihr seine Zuneigung in den Kleinigkeiten des Alltags gezeigt. Im Umgang mit ihr und dem Respekt, den er ihr entgegenbrachte. Er wusste, wie sie ihren Kaffee trank – schwarz mit drei Löffeln Zucker, kannte ihren Lieblingsfilm, Pretty Woman, und führte sie regelmäßig zu Antonio zum Essen aus. Renée liebte Antonios Pasta.
Er atmete tief durch. All die kleinen Details prasselten wie ein Funkenregen auf ihn ein, während er der Tatsache ins Auge sah, dass seine Renée tot war. Ermordet von Zoey-fucking-Alexander-Hurensohnowitsch, einer Ratte aus Moskau, der die Sankt-Petersburger auf Enzos Terrain herausforderte.
Leo wischte den Nebel vom Spiegel und betrachtete sein schmerzverzerrtes Gesicht. Er war zu alt, um noch einmal von vorn anzufangen. Seine Pfandleihe war Geschichte, sein illegales Wettlokal im Hinterzimmer gab es nicht mehr. Der Laden war mit dem Löwenanteil seiner Altersvorsorge unter den Dielen zu Asche verbrannt. Die Glock-Lieferung, die am Tag zuvor eingetroffen war, zu einem Metallklumpen geschmolzen. Er hatte an einem Tag seine Existenz und seine Liebe verloren. Und, ach ja, er hatte seinen besten Freund verraten. Wayne.
Leo presste die Lider fest zusammen und lehnte die Stirn gegen die kühle Spiegeloberfläche. Wayne.
Mit diesem Mann hatte ihn mehr als bloße Freundschaft verbunden. Er gehörte praktisch zur Familie, war wie ein Bruder für ihn. Wie hatte er ihn verraten können? Ohne seine Information hätten diese Russenschweine ihn niemals gefunden. Warum hatte ausgerechnet er, Big-Ass-Leo, den alle für einen harten Kerl hielten, geplaudert?
Sein Schmerz wich Resignation. Die traurige Wahrheit konnte man in etwa so zusammenfassen: Er war in Panik geraten. Als er Renée in den Händen dieser Schläger gesehen hatte, wäre er beinahe durchgedreht. Dazu kam der Fakt, dass Wayne unverwundbar zu sein schien, gewissermaßen schussfest. Wer konnte auch ahnen, dass sich Zoey nicht mit Munition aufhalten würde, sondern gleich das ganze Gebäude in die Luft sprengte. Mann, der Typ musste eine Scheißangst vor Wayne gehabt haben. Zu Recht.
Und nun war alles verloren. Wayne lag unter der Erde, Renée hatten sie wahrscheinlich irgendwo verscharrt – nicht mal eine anständige Beerdigung war ihr vergönnt. Auch von Wayne hatten sie nicht genug gefunden, das man hätte begraben können. Das Leben konnte echt beschissen sein und der Tod
Weitere Kostenlose Bücher