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Januskopf

Januskopf

Titel: Januskopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Schmöe
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zog sie zur Tür. Ein Streifenwagen fuhr vor.
    In ihrer Erinnerung würden Katinka später Splitter einzelner Szenen verfolgen. Die routinierten Bewegungen der Polizisten beim Absperren der Straße. Das Gesicht eines Nachbarn, der plötzlich aus dem Boden wuchs und an Elviras Türrahmen klopfte, wo er Hardo und Elvira den Weg nach draußen versperrte. Neugier sei noch nie ein guter Ratgeber gewesen, behauptete Hardo später, schon gar nicht die Neugier der Nachbarn. Dann war da Elviras schreckgeweiteter Blick. Katinka würde lange Zeit die Stimme dieses Nachbarn im Ohr klingen: »Störe ich?«, würde sie ihn monatelang fragen hören. Sie würde sich die spärlichen, vom Schweiß glänzenden Haare auf seinem Kopf vergegenwärtigen. Und Hardo würde sie vor sich sehen, wie er mit dem Nachbarn redete, während er ihn ungeduldig auf die Straße drängte. Dann war da ein kurzer Moment aus schwarzem Nichts, bevor sie glasklar im Bruchteil einer Sekunde den braunen Umschlag über den Boden schlittern sah.
    Ein ohrenbetäubender Knall zerriss die Königsberger Stille. Katinka flog ein Stück und landete hart auf ihren Knien, stürzte vornüber auf das Pflaster. Etwas sauste an ihrem Kopf vorbei. Funken wirbelten vor ihren Augen auf, blaue und grüne, und tanzten weiter, als Katinka die Augen schloss und betete, dass sie noch am Leben sei. In ihren Ohren dröhnte ein Gong, groß wie Alaska.
    »Katinka?« Jemand strich ihr übers Haar. »Katinka!«
    Die Stimme besänftigte das Brüllen in ihren Ohren ein wenig. Katinka hob den Kopf. Carla kniete vor ihr.
    »Katinka, sag was!«
    Katinka richtete sich auf. Stimmen und Geräusche hörten sich an, als schwimme sie unter Wasser. Sie stützte sich mühsam auf die Knie und schrie auf vor Schmerz. Blut durchtränkte ihre Jeans.
    »Alles in Ordnung«, kam es aus ihrem Mund, dumpf und fern.
    Carla zog sie an sich.
    »Menschenskind«, flüsterte sie. »Menschenskind.«
    Katinka machte sich los.
    »Wo ist Hardo?«
    »Es geht ihm gut«, sagte Carla.
    Der Kommissar hockte auf dem Kopfsteinpflaster, Schulter an Schulter mit Elviras Nachbarn. Irgendwas hatte ihn am Kopf getroffen. Er blutete. Katinka kämpfte sich hoch und schwankte auf ihn zu.
    »Hardo! Alles in Ordnung?«
    Er nickte benommen.
    »Sie bluten am Kopf.«
    »Katinka, schnell!«, rief Carla. Sie kniete im Hauseingang. Katinka taumelte durch eine Welt aus Watte auf sie zu.
    Elvira Hanf lag in einer Blutlache. Ihr rechter Fuß war bis auf die Knochen zerfetzt. Ihre Augen starrten ins Leere.
    »Elvira!«, schrie Katinka. »Hören Sie mich? Elvira!«
    Elvira Hanf blinzelte.
    »Sie lebt!«, brüllte Katinka. »Aber sie verliert viel Blut.«
    »Abbinden«, sagte Carla. Sie zog ihren Gürtel aus den Jeans und band Elviras Oberschenkel knapp über dem Knie ab. Katinka nahm Elviras Hand in ihre und hielt sie fest. Leise redete sie auf sie ein. Ihr Blick blieb an der verkohlten Garderobe hängen, an den verschmierten Wänden, den Scherben. Das Blaulicht der heranrasenden Polizeiwagen geisterte über die Szenerie. Hinter ihr regte sich Hardo.
    »Sie kann Sie nicht hören, Katinka«, sagte er. »Die Explosion hat ihr die Trommelfelle zerrissen.«
    »Das ist egal«, sagte Katinka. »Sie sieht mich reden.«
    Elvira Hanf murmelte etwas. Ihr Blick flackerte. Hardo ging Katinka gegenüber in die Knie. Ihre Augen trafen sich. Dann strich Hardo behutsam ein paar Scherben aus Elviras roten Locken.
     
    Eine Stunde später saß Katinka auf dem weißen Sofa in Elvira Hanfs Wohnzimmer und hielt still, während Carla ihr die zerschlissenen Hosenbeine in Kniehöhe abschnitt.
    »Was wird das denn«, fragte Hardo.
    »Ich bin auf die Knie gefallen«, sagte Katinka. Selbst ihre eigene Stimme klang dumpf in ihren Ohren. »Sie sehen übrigens apart aus mit Ihrem Pflaster auf dem Kopf.«
    Hardo schnitt ihr eine Grimasse.
    »Wird Elvira es schaffen?«, fragte Katinka.
    »Wenn sie stark genug ist, um den Blutverlust auszuhalten ... Die Frage ist allerdings, ob sie den Fuß retten können.«
    Ein Sanitäter sah zur Tür herein.
    »Brauchen Sie noch was?«, fragte er.
    Katinka zeigte auf ihre aufgeschlagenen Knie.
    »He, das sieht tief aus. Und verdreckt außerdem.« Er desinfizierte die Wunden. »Brennt ein bisschen, was?«
    »Nicht der Rede wert«, stieß Katinka zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Danke. Haben Sie auch ein Hörgerät dabei?«
    »Das gibt sich wieder«, beruhigte er sie und ging.
    Eine Menge Beamte in Uniform und Zivil schwirrten durch

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