Januskopf
amüsiert.
»Waren Sie bei Elvira? Wie geht es ihr?«
»Sie wurde lange operiert. Man kann noch nicht so viel sagen.«
»Sie kommt durch, oder?«
»Hoffen wir es«, sagte Hardo. Er seufzte. Katinka sah den rohen, schmerzvollen Ausdruck in seinen Augen vor sich, sah, wie er gestern hinter Königsberg über die Wiese geschritten war, als ginge er los, den Horizont anzuklagen.
»Wegen Tom«, begann Katinka und schluckte verzweifelt die Tränen weg. »Können Sie mir etwas Gutes berichten?« Sie hasste es, einfach loszuheulen, aber die Mauern begannen zu bröseln.
»Ich habe nichts. Nichts Gutes, aber auch nichts Schlechtes.«
Es soll ein Trost sein, dachte Katinka. Sie biss sich auf die Lippen, bis sie Blut schmeckte.
»Ich komme zu Ihnen«, versprach Hardo. »Geben Sie mir zwanzig Minuten.«
Sie beschloss, noch genau diese zwanzig Minuten abzuwarten, bevor sie durchdrehte.
Keine Viertelstunde später tauchte Hardo in Jeans und zerknittertem Hemd vor Katinkas Bürotür auf. Katinka saß auf ihrem Schreibtisch, die Füße auf einen Besuchersessel gestemmt, und sah ihm entgegen.
»Das gibt’s doch nicht!«, flüsterte sie. »Dass sich niemand meldet. Dass er sich nicht meldet. Er kann doch nicht einfach von der Bildfläche verschwinden.« Ihr Magen zog sich zusammen. Sie krümmte sich vor Schmerz.
Hardo nahm sie in die Arme.
»Wir finden ihn«, sagte er leise. »Ich verspreche Ihnen, dass wir ihn finden.«
Katinka drückte ihr heißes Gesicht an sein Hemd und atmete tief seinen Geruch ein. Ein Aftershave, das nach Ozean roch und ihr vertraut genug war, um sie zu beruhigen.
»Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Für Sie reite ich nach Bujumbura.«
»Es ist meinetwegen, oder?« Sie hob den Kopf. »Der anonyme Briefeschreiber will mich ausschalten. Ich soll nicht weiterermitteln. Er lenkt mich ab, indem er Tom entführt.«
»Ich nehme es an«, gab Hardo zu. Er zog ein Taschentuch aus seiner Tasche, eines aus Stoff und kariert wie sein Hemd. »Hier. Ich muss etwas mit Ihnen besprechen. Ich glaube, ich habe etwas.«
Katinka schnäuzte sich.
»Was meinen Sie damit?«
Er nahm ihr das Taschentuch ab und tupfte die Tränen von ihren Wangen. Dann griff er in seine Jeanstasche und förderte ein zerlesenes gelbes Bändchen zutage.
»Hier. Die Elixiere des Teufels von E. T. A. Hoffmann.«
»Was ist damit?«
»Wissen Sie, dass dieses Werk in die Tradition der Schauerromane gehört?«
Katinka hob die Schultern. Sie hatte keine Lust, sich über Bücher zu unterhalten.
»Hoffmann wurde bei einem seiner Bambergaufenthalte zu den ›Elixieren‹ angeregt.«
»Hardo, was soll das!« Katinka rutschte vom Tisch und setzte sich auf den Sessel. »Bitte ...« Sie brach ab, denn ihre Stimme wurde schrill und tat ihr selbst in den Ohren weh.
»Moment noch!« Er hob die Hand. »Was haben wir vor uns, Katinka? Was ist das für ein Fall? Sagen Sie es mir.«
»Wir haben drei Morde. Und einen Wahnsinnigen.«
»Richtig.« Hardo klatschte das gelbe Bändchen auf den Tisch. »Genau das Gleiche in den ›Elixieren‹.«
Katinka hatte das Buch vor Jahren gelesen und konnte sich an wenig erinnern außer an einen gruseligen Schauer auf ihrem Rücken.
»Ich will es Ihnen erklären«, fuhr Hardo fort. »Ich habe die halbe Nacht darüber gegrübelt. Ich wusste genau, dass ich irgendwann ein Buch gelesen hatte, an das mich dieser Fall hier erinnert. Nur kam ich nicht drauf, welches. Nachdem wir telefoniert hatten, ging ich ins Internet und gab ein paar Stichwörter ein. Wahnsinn, Persönlichkeitsspaltung, Literatur, Mord. In einem von Hunderten von Links las ich ›Elixiere des Teufels‹. Da war der Knoten geplatzt. Katinka!« Er baute sich vor ihr auf. »Jemand spielt diesen Roman nach!«
»Wie bitte?« Katinka blinzelte.
»Wir haben einen Protagonisten, der an übersteigerter Wirklichkeitserfahrung leidet, zwischen Genius und Irrsinn schwankt. Am Freitagabend bekam ein Kollege die Krankenakte von Ewald Isenstein. Daraus geht hervor, dass Ewald zeitweise an Persönlichkeitsspaltung leidet.«
»Moment! Ich denke, Dr. Thompson ist übers Wochenende in München?«
Hardo deutete ein Lächeln an.
»Ich habe mir ihr telefoniert. Eine Helferin holte für uns die Akte aus der Praxis.« Er setzte den typischen Blick auf, den er für Momente wie diesen reserviert hatte. Momente, in denen er Katinka beweisen wollte, dass die Polizei effektiver arbeiten konnte als eine Privatdetektivin. »Also. Wir haben einen Mann vor uns, Ewald
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