Jasmin - Roman
viel getrunken? Ich wollte schlafen, mich in mein Schneckenhaus verkriechen. Wie sollte ich nach Hause fahren? Vielleicht sollte ich dableiben. Michelle schaltete den Plattenspieler aus.
»Das Licht, das Licht, mach das Licht aus«, bat ich.
»Ich liebe bei Licht«, beharrte sie und überschüttete mich mit liebevollen Worten auf Französisch. Ich ertappte mich dabei, wie ich sie in ihre Ohren wiederholte, bis mein Kopf abtauchte und ich in süßen Schlummer versank.
Als ich erwachte, schleppte ich mich in die Dusche, in das duftende Reich ihrer Parfümfläschchen. Einige Zeit später gesellte sie sich zu mir, in der einen Hand ein Glas Weißwein und in der andere eine Gitane. Diese Freiheit, diese Freizügigkeit - einfach beneidenswert. Ich beeilte mich, mich anzuziehen, verlegen, dass ich nackt vor ihr stand.
»Bleibst du nicht da?«
»Tut mir leid, ich habe keine Zahnbürste und keinen Rasierapparat …«
»Hab ich für dich gekauft.« Sie öffnete eine Schublade, um es mir zu zeigen.
»Ich habe auch keine Wäsche zum Wechseln da.«
Sie warf mir einen schrägen Blick zu: »Warum lässt du mich allein?«
Ich senkte die Augen und machte mich davon in die Kühle der Herbstnacht. Ich ließ den Wagen an und fuhr los, und plötzlich stieg in mir ein Schrei auf: Jasmin! Jasmin! Jil’an abuki, verflucht sei mein Vater! Warum bist du Araberin, Christin, Palästinenserin? Warum? Komm zu mir. Ich will dich lieben in Arabisch und Hebräisch und in allen Sprachen der Welt, ich will uns ein Kind machen. Jasmin, Jasmin, Jasmin, wo bist du? Ich trommelte mit den Händen auf das Lenkrad.
Ich hielt an. Langsam, Genosse. Ganz langsam. Schade um das Leben, so wirst du Jasmin sicher verlieren. Heute Nacht, nach allem, was du getrunken hast, ist das, was du jetzt wirklich brauchst, ein Eimer neben dem Bett.
22.
AUS DEM IRAKISCHEN GEFÄNGNIS: CHIZKEL
»Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Ihr Onkel Jechezkel Amari aus dem irakischen Gefängnis entlassen wurde und morgen hier in Lod ankommen wird«, teilte mir Herr Katz vom Sonderdezernat des Sicherheitsministeriums am Telefon mit.
»Ich glaube es nicht … Sind Sie sicher?«
»Gestern Nacht habe ich mich mit ihm unterhalten. Er fühlt sich gut und wird morgen Nachmittag landen. Wir erwarten Sie beide um drei Uhr dreißig am Flughafen in Lod im VIP-Raum.«
Mein Herz raste. Meine Hand streckte sich nach dem Telefon aus, ich hätte die Botschaft so gerne mit mir Nahestehenden geteilt. Aber wem sollte ich es erzählen? Meinen Eltern? Sie hatten noch kein Telefon. Kabi? Er war nicht im Lande, und ich hatte keine Ahnung, wo er sich gerade befand. Jasmin? Das würde komisch wirken, wir waren nur entfernte Bekannte. Ich beschloss, meinen Minister anzurufen, um ihm zu danken, aber er war mit Levana in einer Besprechung. Mit Mühe hielt ich noch eine Weile in meinem Büro aus, und dann flog ich zu meinen Eltern. Unterwegs kaufte ich Getränke, Knabberzeug und einen riesigen Blumenstrauß.
»Welche Botschaft bringst du uns, mein Sohn? Heiratest du?«, fragte meine Mutter augenzwinkernd beim Anblick der Blumen. Mein Vater erhob sich von seinem Stuhl und legte das ägyptische Wochenblatt weg, in dem er gelesen hatte.
»Ihr werdet es nicht glauben. Chizkel ist frei und kommt morgen an.«
Mein Vater stand mit offenem Mund da, seine Hände zitterten.
Meine Mutter befahl ihm, sich zu setzen und sich nicht aufzuregen, und brach in trillernde Jubelrufe aus.
»Hör auf damit, beschwöre nichts herauf«, ermahnte sie mein Vater.
»Gelobt sei Sein Name, der unseren Vätern und uns Wunder widerfahren lässt«, erwiderte meine Mutter, umarmte und küsste mich und fuhr fort mit dem Trillerjubel.
Wir setzten uns in die Küche. Es war kühl. Mein Vater zündete sich trotz des ärztlichen Verbots eine Zigarette an, seine Augen röteten sich, und er verbarg sie hinter der gespreizten Hand. Ich begriff, dass er in die Vergangenheit zurückkehrte, zu jener Nacht vor zwanzig Jahren, in der die Polizisten in unser Haus in Bagdad eingefallen waren. Sie hatten nach Waffen, Propagandamaterial und hebräischen Lehrbüchern gesucht. Mein Vater stellte sich krank und blieb im Bett, und Kabi, ein sechzehnjähriger Knabe damals, begleitete die Polizisten während jener ganzen Nacht bei der endlosen Durchsuchung unseres geräumigen Hauses mit seinen zwei Stockwerken und sieben Zimmern, Küche und Speicher. Es gab keinen Winkel, die sie nicht durchkämmten, ebenso wie im benachbarten Haus
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