Jasmin - Roman
Brauchst du Material?«
»Dringend«, nickte ich und erzählte ihr die ganze verwickelte Geschichte mit Ghadir.
Danach schloss ich mich im Zimmer des Regierungssprechers ein und studierte einschlägige Unterlagen für die Erstellung des fälligen Berichts für den Minister. Es dauerte nicht lange, und Levana kam mit einem dicken, großen Umschlag in der Hand herein: »Ich hab’s gefunden, da ist das Material, das du wolltest.«
»Du bist fabelhaft!« Ich ging in den Park der Knesset hinaus und pflückte eine Rose, die ich ihr dankbar auf den Tisch legte.
Gleich bei meiner Ankunft in meinem Büro in Scheich Dscharrah öffnete ich den Umschlag, den ich von Levana erhalten hatte, und blätterte in den Papieren, doch es gelang mir nicht, dem irgendetwas Eindeutiges zu entnehmen. Zu viele Details in formaljuristischem Jargon verwischten die Bedeutung. Ich beschloss,
sie zu studieren, wenn ich ruhiger und konzentrierter wäre, und auch zu versuchen, mir von Soli Levi von der Grundstücksverwaltung dabei helfen zu lassen. Ich legte die Dokumente beiseite und nahm die amerikanischen Zeitungen auf, die regelmäßig ins Büro kamen.
Das Gesicht meines Nachbarn, des Senators Antoine, blickte mir aus einer von ihnen neben einem Interview voller Hass und Kritik entgegen. Dieser Greis ist nicht gerade liebenswürdig, dachte ich, man muss dieses Interview dem Minister zeigen, damit er die extreme Geisteshaltung im Kreise der Palästinenser aus der Nähe kennenlernt und seinen Horizont etwas erweitert.
In Hinblick auf das Gespräch mit meinem Minister, das mich am Abend erwartete, ging ich bei der Militärverwaltung vorbei, um eine Lagebeurteilung zu erhalten und ein paar Worte mit Kollegen zu wechseln, die man zufällig traf, was einen ebenso auf den aktuellen Stand brachte.
Diesmal lief mir Schamluk über den Weg. Ich erzählte ihm von dem Interview mit Senator Antoine, das ich gerade in der Washington Post gelesen hatte.
»Ein alter Kotzbrocken, der eine Großmacht provoziert.«
»Hast du Material über ihn?«
»Ich schick dir welches«, versprach er und eilte davon.
Aus Zeitmangel ging ich zum Mittagessen nicht hinaus. Etwas Wurst, Früchte und Brot aus dem nahen Lebensmittelladen, die ich während der Lektüre von Unterlagen und der Formulierung von Schlussfolgerungen verzehren konnte, waren mir diesmal lieber als eine ganze Mahlzeit.
Die Abfassung des Berichts für den amtierenden Minister brachte mich ins Schleudern. Es fiel mir schwer, die richtigen Formulierungen zu finden, Furcht überkam mich. Mir schien, als spähte er mir während des Schreibens über die Schulter. Sein Hebräisch war überragend, gestützt auf Schichten alter gelehrter Quellen, gespeist von Schriftstellern und Dichtern der jüdischen Wiederauferstehung, reich an Neuerungen, die Bialik,
Agnon, Schlonsky und Altermann geprägt hatten, wogegen ich ein Neueinwanderer war, der die Sprache nur oberflächlich, in begrenztem Ausmaß beherrschte.
Im Autoradio jubelte Umm Kulthum im täglichen Konzert. Seit dem Krieg hatte sie die Schlagzeilen nicht mehr verlassen. Zu Kriegsende hatte man sie in einer großen Reportage in einer ägyptischen Zeitschrift als »Opium für die Massen« bezeichnet und sie beschuldigt, mit ihrem Gesang die Kampftruppen berauscht und die Sinne ihres Volkes betäubt zu haben. Die große Sängerin hatte sich in Schweigen gehüllt, war nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten und betrauerte monatelang die Niederlage ihres Volkes. Nun hatte sie beschlossen, aus ihrer Trauerklausur herauszukommen und sich auf eine Agitationstournee für den »Ra’is«, für Nasser, zu begeben, und sie sang von Heldenmut und Kampfesgeist, von der Größe des Ra’is und dem Sieg, der kommen werde. Sie, die sich niemals mit Worten an ihr Publikum gewandt hatte, hielt nun Reden über Einigkeit, rief die ägyptischen Frauen dazu auf, ihren Goldschmuck für den Staat zu spenden, trug die Fahne von Stadt zu Stadt, trat in Alexandria und Ismailija, in Mansuria und Khartoum, Tripoli, Rabat, Amman und Damaskus und sogar in Europas Hauptstädten auf. »Wir sind Fedajin, Partisanen«, sang sie, reihte sich in Arafats Chor ein. Jetzt strömte ihre Stimme wie heiße Tränen in ihrem Lied »Inta umri«:
Was ich gesehen, bevor meine Augen
dich erblickten,
war verlorenes Leben, wie konnte ich
es je für mein Leben halten!
Ich schaute kurz im al-Hurrije vorbei. Jasmin war nicht da. Abu George sagte, sie habe sich in die
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