Jasmin - Roman
damit knallte ich den Hörer auf. Verdammter Hund, verdörrte Seele, gebe Gott, ihr vergossenes Blut trockne auf dir, verfluchte ich ihn in meinem Herzen.
Gegen Abend ging ich zum Berg. Und da saß Ghadir auf dem Felsen, im schwarzen Kleid, vergoldet von den Strahlen der untergehenden Sonne. Starr vor Staunen erinnerte ich mich an eine Legende, die ich einmal gelesen hatte: »Und Jeremiah sagte: Als ich nach Jerusalem hinaufzog, wandte ich meine Augen, und ich sah eine Frau auf der Spitze des Berges sitzen, gekleidet in Schwarz und mit wirrem Haar, die schrie und bat: Wer wird sie trösten, und ich schrie und bat: Wer wird mich trösten.«
Als ich näherkam, stellte ich fest, dass die Frau, die ich sah, kein Geist war, aber auch nicht Ghadir. Auf ihrem Felsen saß Fatchija, ihre Mutter. »Komm her, mein Sohn, setz dich neben mich«, bat sie, und dann erzählte sie mir, dass Karim, Ghadirs Vetter, nach unserem Besuch in Gheine angefangen hatte, sie in ihrer Baracke im Wadi el-Joz zu besuchen. Er sagte, dass er sie liebe, dass sie ihm schon als Achtjährige versprochen worden sei, dass er nicht auf sie verzichten werde. »Er war voller Leidenschaft, wie ein wandernder Beduine. Verfolgte sie, schrie sie an, machte ihr eine Szene, als sie einmal dein Büro besucht hat. Ich habe nicht geschwiegen, ich sagte ihm, dass du besser für sie bist als zehn Brüder.
Eines Tages, verflucht sei dieser Tag, tauchte plötzlich auch ihr Mann Izam auf, Allah möge ihm das Genick brechen, sagte, er habe sich hinübergeschmuggelt, um sie mit nach Amman zu nehmen. Er traf Karim bei mir an, und die beiden gingen zum Berg. Als Stunden vergangen waren und sie nicht zurückkamen, machte ich mich auf den Weg, um sie zu suchen, und ich fand sie hier auf dem Felsen. Ich bat unsere Nachbarin, es Ihnen im Büro mitzuteilen. Das war das Ende, rahat, sie ist von uns gegangen. Seitdem gibt es keine Spur mehr von Izam, getilgt sei sein Name, und Karim ist auch verschwunden, Allah möge ihm den Hals brechen, und auch meinem Mann, Allah möge seine Tage verkürzen.« Sie verstummte, der Abend senkte sich herab, die Dunkelheit fiel. »Ich hatte nur sie, nur einen einzigen Lichtstrahl, und auch sie haben sie ausgelöscht«, seufzte sie und stand auf.
Ghadirs Tod erhöhte sie in meiner Seele, rückte sie ins volle Licht und zwang mich zu begreifen, was ich in meiner Naivität für sie empfunden hatte, ohne es zu wissen.
Ich hatte sie immer als angenehmes und herzerwärmendes Geschöpf gesehen, eine schlichte und unschuldige mädchenhafte Frau, die auf einem Seitenpfad, weitab von den Brennpunkten von Macht und Einfluss, wanderte, die lebte und leben ließ, nicht mehr und nicht weniger, wie ein kleiner Vogel unter dem Himmelszelt, eine wilde Blume auf dem Feld. In gewisser Hinsicht der absolute Gegensatz zu Jasmin, der gebildeten, analytischen, politischen Frau, die im Zentrum der Dinge lebte und ihre Hand nach der Fahne ausstreckte.
Ich hatte immer gedacht, dass die Politiker, die sich über das Volk erheben, die Welt lenken, nie hatte ich in Betracht gezogen, dass die Massen der einfachen Leute, die unbefangen, fern von Politik und frei von ihrem Gift, lebten, in irgendetwas den Lauf der Dinge bestimmen und einen Abdruck in der Geschichte hinterlassen könnten.
Ghadir, ein kleiner Vogel unter dem Himmelszelt, ein klarer
Bach, ließ mit ihrem Tod in mir die Erinnerung an die Zeilen eines Gedichtes von Bialik aufflammen, das ich in meiner Zeit an der Abendschule für die arbeitende Jugend kennengelernt hatte:
Mein Teil sei mit euch, Demütige der Welt,
stumme Seelen,
die ihr Leben im Verborgenen weben,
bescheiden im Denken und Handeln -
ganz langsam, wie auf Zehenspitzen,
zieht vorüber auf den Lebensbahnen -
und euer Herz ist wach, euer Ohr lauscht,
und euer Auge stets auf Wanderschaft -
erfahren in Taubheit seid ihr
und bar der Stimme und Worte,
euer Mund drückt nichts Großes aus
und eure Hände werden keine Höhen erschaffen -
die Schönheit eures Lächelns wird in den Raum der Welt strö-
men, wie eine versiegelte Quelle wieder
zum Herzen eines Flusses strömt
zu seiner Belebung -
und er wird es nie wissen.
37.
KIDDUSCH-WEIN
Michelles Mutter starb. Als ich in Paris anrief, um Michelle zu trösten, sagte sie, sie habe die Absicht, nach Ende der Trauerwoche zusammen mit ihrem Verlobten Jean Claude nach Israel zurückzukehren, doch sie verschob die Reise, und auch einen Monat später war sie noch nicht zurück. Auf den bunten
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