Jasmin - Roman
gestarrt, erregt und bang. Vielleicht würde es mir nicht vergönnt sein, ihn noch einmal zu sehen. Damals begriff ich, welch ein Segen in den Worten des Propheten verborgen lag, »so dass sie sicher wohnten, jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum«. Diese Furcht hatte sich inzwischen abgeschwächt, doch sie hatte sich bis jetzt nicht ganz gelegt, und die Sehnsucht nach Frieden war immer noch ein Traum, dem wir nicht nähergekommen waren.
Es gab Nächte, da fand ich keinen Schlaf, schreckte immer wieder hoch, in klebrigen Schweiß gebadet, riss die Augen in der Dunkelheit auf, fürchtete, die Betondecke würde über mir einstürzen und mich unter sich begraben. Mein Kamerad Trabelsi ließ mir keine Ruhe, des Nachts erhob er sich mit einem stummen Schrei aus dem Feuer. Der Sohn, der ihm kurz vor unserer Mobilisierung geboren worden war, musste jetzt ein Jahr alt sein. Eine Halbwaise. Mich überfiel der vehemente Drang, Jasmin zu
sagen, dass ich sie liebte, und ihr das immer wieder in siebzig Sprachen zu wiederholen. Aber wie konnte ich zu dieser Stunde bei ihr anrufen?
Am Abend von Chizkels Vortrag holten Kabi und ich ihn gemeinsam ab.
»So gehst du, im kurzärmeligen Hemd?«, sagte Chizkel missbilligend.
»Das sind Sozialisten dort, die wissen gar nicht, was Anzug und Krawatte sind«, erklärte ich.
»Dann habe ich mich nicht passend angezogen?«, fragte er besorgt.
»Der Anzug ist in Ordnung. Das Barett? Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte ich.
»Lass ihn in Ruhe, er soll anziehen, was er will«, schalt mich Kabi.
Der Platz vor dem Gewerkschaftshaus in der Straußstraße war von Mitgliedern der Jugendbewegung in blauen Hemden belagert, die die Nationalfahne und die rote Flagge trugen. Auch der Saal und die Bühne waren mit Fahnen, Spruchbändern und Blumensträußen dekoriert. Langsam füllte sich der Raum mit Mitgliedern der jungen Garde, des Arbeiterinnenrats, mit Gewerkschaftsfunktionären, Parteiführern und Leuten des Parteiapparats. Sie setzten uns in die erste Reihe neben die Ehrengäste. Chizkel sah wie ein Neueinwanderer aus mit dem großen Barett, seinem Clark-Gable-Schnurrbart und dem schwarzen Nadelstreifenanzug mit der gestreiften Krawatte.
»Mein Sohn, ich habe nicht gewusst, dass so viele Menschen hier sein würden«, flüsterte er mir ins Ohr und wurde blass. Sein Gesicht war angespannt. Ich versuchte ihn aufzuheitern, doch es gelang mir nicht, ich gab ihm ein Pfefferminzbonbon, und er steckte es in die Tasche, ich bot ihm eine Zigarette an, er nahm sie und zündete sie nicht an.
Nach einem Chorstück und einer langen Parade von Reden
und Grußworten stellte der Generalsekretär Chizkel vor und forderte ihn auf, seinen Vortrag zu halten. Als er aufs Podium stieg, stolperte er fast mit seinem verletzten Bein. Er stand vor dem großen Publikum, räusperte sich, setzte die Lesebrille auf und begann, entgegen meinem Rat, mit der Geschichte des jüdischen Untergrunds in Bagdad. Er sprach mit schwerem irakischem Akzent, der durch die Lautsprecher noch verstärkt wurde.
Die Geschichte, die er vom Blatt ablas, stieß beim Publikum nicht auf Interesse. Die jungen Leute kicherten, die Geschäftsführerin des Arbeiterinnenrats tuschelte mit dem Zweigstellensekretär, der Vorsitzende der Krankenkasse schwatzte mit dem Geschäftsführer der gewerkschaftsnahen Baugesellschaft. Der Generalsekretär erhob sich und rief das Publikum zur Ruhe.
Chizkel verstummte und musterte die in der Halle Sitzenden.
Mit einem Mal legte er das Barett und das Jackett ab, löste den Krawattenknoten und öffnete seinen Hemdkragen. Dann nahm er auch die Lesebrille ab, schob die Blätter mit dem Vortrag beiseite und straffte den Rücken. Er schien zu wachsen, und dem Nadelstreifenanzug entstieg ein Held der Untergrundbewegung und Freiheitskämpfer.
»Ich bin ein Neueinwanderer und spreche nicht gut Hebräisch«, sagte er langsam, setzte jedes Wort für sich, »aber ich verstehe etwas von nationaler Freiheitsbewegung. Zwanzig Jahre ist der Henkersstrick über meinem Kopf gebaumelt, weil ich ein Freiheitskämpfer war, meine besten Freunde, die mit mir in der Untergrundbewegung waren, sind hingerichtet worden. Sie haben ihr Leben gegeben für die Unabhängigkeit, für unseren Staat. Jetzt, in Israel, was wollen die Araber und die Flüchtlinge? Sie wollen Unabhängigkeit, einen Staat wie wir. Genau so. Jetzt müssen wir unsere Aufmerksamkeit al-Nakbe, dem Unglück, nämlich dem ihren, zuwenden, wir
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