Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
Vom Netzwerk:
weggeflogen war, anstatt ihn nach Lissabon zu begleiten. Im Hintergrund klappte eine Tür. Offenbar lief er nicht mehr durch die Straßen, sondern hatte ein Zimmer betreten. Es war ganz still um ihn herum. Er atmete gleichmäßig ins Telefon, fast so, als läge er neben ihr.
    Mimi schloss die Augen und holte tief Luft. Was konnte schon passieren, wenn sie Bruno erzählte, was sie hier in Neuschottland vorhatte? »Ich bin auf der Suche nach einem Mann, nach dem offenbar meine Eltern auch schon gesucht haben, und ich besitze nichts als seinen Namen. Klingt das komisch für dich?«
    »Nicht, wenn du mir verrätst, warum du diesen Mann suchst.« Es raschelte.
    »Wo bist du?«, flüsterte Mimi.
    »Im Hotel, im Bett. Direkt neben dir«, flüsterte Bruno zurück.
    »Das ist schön.« Mimi lächelte glücklich und erzählte ihrem Jugendfreund von Claras gebrochenem Herzen und alles, was sie von Jacques Barreto und ihrer tiefen Liebe zueinander wusste. »Ich will ihn für meine Großmutter finden. Und ich vermute, das Gleiche hatten meine Eltern vor zwanzig Jahren auch schon vor. Nur weiß ich nicht, was sie damals herausgefunden hatten.« Mimis Stimme wurde immer dünner. »Sie konnten es ja niemandem mehr sagen
    »Oh, Yamyam!« Bruno räusperte sich. »Ich finde dich wirklich unglaublich. Als wir uns vorgestern gesehen haben, hast du mir gar nichts von deinem mutigen Vorhaben erzählt. Und nun bist du in Neuschottland und suchst nach deinen Wurzeln.«
    »Klingt das für dich so?«
    »Wie? Dass du nach deinen Wurzeln suchst? Ist es denn nicht so?«
    »Ja.« Mimi drückte sich das Telefon ans Ohr, um Bruno noch näher zu sein. »Vielleicht hast du recht.«
    Für einen Moment blieben sie andächtig still. Sie hörten sich nur beim gleichmäßigen Atmen zu. Schließlich sagte Bruno: »Du wirst diesen Mann für Clara finden. Es geht gar nicht anders. Wir haben uns ja auch wiedergefunden. Manchmal dauert es eben fünfzehn Jahre, manchmal ein ganzes Leben.«
    »Ja«, sie lächelte ins dunkle Zimmer hinein. »Ich werde ihn finden.«
    Zuversichtlich fiel Mimi in einen tiefen Schlaf, in dem sich das Mädchen im weißen Kleid langsam von dem Felsen erhob und darauf stehen blieb. Der Wind spielte mit dem Saum des knöchellangen weißen Kleides. Barfuß balancierte es über die glatten Giganten. Die Arme ausgebreitet, um im aufkommenden Sturm das Gleichgewicht zu halten. Leicht wie eine Feder sprang es von Felsbrocken zu Felsbrocken. Unter ihm warf sich der Ozean brüllend gegen die schwarzen Steine. Wie ein Glühwürmchen stach das Mädchen aus dem Dunkel der Nacht hervor – und obwohl es allein war, lächelte es. Es schien genau zu wissen, wo es hinwollte. Als wären es nur noch einige wenige Schritte bis zu seinem Ziel. Und mit einem Mal hörte Mimi es warm und lieblich neben ihrem Ohr atmen. Das Mädchen legte sich zu ihr unter die Bettdecke. Es flüsterte: »Danke, dass du gekommen bist, um mich zu holen.«
    Und mit diesem Satz verschmolz das Mädchen mit Mimi. Es löste sich vollkommen in ihr auf. Zurück blieb nur das friedvolle Gefühl von nie gekannter Ganzheit. Endlich, endlich war sie wieder eins.
    Am nächsten Morgen, nachdem Mimi im Frühstücksraum der Pension Toast mit Rührei gegessen hatte, lief sie hinunter zum Hafen. Vom Hotelbesitzer, der in ausgeblichenen Jeanslatzhosen und Karohemd hinter der Rezeption gestanden und an einem Flaschenschiff gebastelt hatte, wusste sie, dass unten am Kai eine Kutsche auf Touristen wartete, um sie durch die malerische Altstadt zu fahren. Als der bucklige Mann in seinem kurzärmeligen, weißen Hemd, schwarzer Weste und Zylinder sie von seinem Kutschbock aus auf sich zukommen sah, hob er sofort seinen Arm, zeigte auf sein Pferd und rief irgendetwas, das Mimi nicht verstand.
    Sie blieb neben dem schwarzen Pferd stehen und fuhr mit der Hand über den sanft geschwungenen Hals. Dabei stellte sie sich so hin, dass das Tier sie trotz Scheuklappen sehen konnte. »Wie bitte?« Sie zwinkerte zu dem Kutscher hinauf.
    »Mein vierbeiniger Kollege hier will sie durch die Stadt fahren!«, polterte der alte Mann los und zog die Peitsche aus der Halterung, als hätte Mimi bereits eingewilligt. »Ich bin die beste Adresse, um eine Tour durch unser schönes Lunenburg zu machen.« Er grinste und zeigte seine tabakfleckigen Zähne. Da Mimi zu seinem Ärger nicht unverzüglich auf die Rückbank kletterte, fuhr er dröhnend fort: »Was gibt’s da noch zu überlegen, junge Dame? Steigen Sie ein! Mein

Weitere Kostenlose Bücher