Jedes Kind ist hoch begabt: Die angeborenen Talente unserer Kinder und was wir aus ihnen machen (German Edition)
Sollen Entscheidungen treffen, deren Auswirkungen sie nicht kennen. Schon sechs Monate alte Kinder werden gefragt: Möchtest du dies? Oder lieber das?
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, um vorherzusagen, dass es sich bei dieser Art von Erziehung um ein Auslaufmodell handelt. Immer mehr und immer jüngere Kinder entwickeln inzwischen alle möglichen psychischen Störungen und immer mehr Jugendliche lassen sich auch durch verstärkten Druck nicht mehr erziehen. Viele Eltern sind angesichts der Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen überfordert und kapitulieren. Immer mehr Deutsche sind mittlerweile der Meinung, dass Eltern hierzulande nicht fähig sind, mit ihren Kindern fertig zu werden.
Die zweite Entwicklung, die sich auf die Erziehung auswirkt, ist die Veränderung der Lebensbedingungen in unserer modernen Gesellschaft, die in einem atemberaubenden Tempo erfolgt. In dieser durchlässig und flexibel gewordenen Welt wird eines immer wichtiger: die Fähigkeit, sich in die Gefühle anderer Menschen hineinzuversetzen und zu wissen, wie Gemeinschaft gelebt wird. Gebraucht werden Menschen, die Lust darauf haben, sich mit ihren besonderen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten einzubringen, die Initiative ergreifen und Verantwortung übernehmen. Händeringend werden Leute gesucht, die selbstständig denken und teamfähig sind. Menschen, die von früh an gelernt haben, mit sich und anderen klarzukommen. Die wissen, woran sie mit sich und anderen sind.
Diese neue Welt verlangt nach starken Persönlichkeiten. Und nicht nach Kümmerversionen dessen, was aus ihnen hätte werden können.
Damit Kinder zu starken, selbstbewussten und umsichtigen Persönlichkeiten werden und die in ihnen angelegten Begabungen entfalten können, müssen sie aber das Gefühl haben, angenommen zu sein. So akzeptiert zu werden, wie sie sind. Sie brauchen Aufgaben und Herausforderungen, an denen sie wachsen und eigene Kompetenzen erwerben können.
So sollte es sein. Ist es aber oft nicht. Wenn Kinder nicht bekommen, was sie brauchen, leiden sie. Und suchen nach Lösungen, das Leid zu lindern. Es erträglich zu machen. Finden sie nicht, was sie brauchen, nehmen sie sich, was sie kriegen können. Das nennt man Ersatzbefriedigung. Computerspiele, zum Beispiel, können ein solcher Ersatz sein. Und wenn es nur ein Held aus dem Webbrowser ist, ein Held, für den man eine Steckdose braucht. Wenn dann Rambo auf dem Bildschirm gegen das Böse kämpft oder man mit einer Handbewegung Geisterarmeen in Marsch setzen kann, ist man vielleicht für kurze Zeit auch ein ganz Großer. Lieber wäre man mit seinem Vater zusammen, aber der ist nicht da. Oder mit seiner Mutter, aber die hat keine Zeit. In den Entwicklungsabteilungen der Spielzeugindustrie sitzen Psychologen, die genau wissen, wie sie ihre Figuren ausstatten müssen, damit sie ungestillte Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen befriedigen. Die modernen Medien, die Mode- und Musikindustrie, die Reisebüros und neuerdings sogar Schönheitschirurgen sind eilfertige Dienstleister für alle, die nicht das bekommen, was sie wirklich brauchen.
Es ist das Wesen eines Ersatzmittels, dass es nicht leistet, was es zu leisten verspricht. Keine Ersatzbefriedigung macht wirklich glücklich, keine stillt das Bedürfnis nach wirklicher Verbundenheit und nach ureigenen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Aber alle verengen den Blick. Sie lassen wichtig erscheinen, was eigentlich bedeutungslos ist. Sie verschaffen ein kurzes Lustgefühl, aktivieren das sogenannte Belohnungszentrum im Gehirn und hinterlassen einen faden Nachgeschmack. Und all jene Vernetzungen und Verschaltungen werden dabei verstärkt und ausgebaut, die ein Kind oder ein Jugendlicher in diesem kurzen Zustand der Begeisterung in seinem Gehirn nutzt, um das zu tun, was ihm zumindest vorübergehend etwas Erleichterung verschafft und Spaß bringt und ersatzweise hilft, den Schmerz zu unterdrücken. Den Schmerz darüber, dass ihnen der Austausch mit ihrem Vater und die Bindung zur Mutter fehlen. Dass sie von ihnen nicht gesehen werden und auch keine Möglichkeit geboten bekommen, zu zeigen, was wirklich in ihnen steckt. Diese Erfahrung ist niederschmetternd. Sie haut das stärkste Kind um. Es merkt sich, nicht richtig zu sein, und verliert nach und nach den Goldschatz, den jedes Kind mit auf die Welt gebracht hat. Allzu oft wird daraus ein Bleigewicht, das es zunehmend erdrückt.
Wenn die Liebe verraten wird
Nicht selten hört man heute, es
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