Jemand Anders
ja. Wenn eine hundert Kilo schwere Hantel auf deinem Kehlkopf landet, ist nicht mehr viel zu wollen. Selbst wenn es wer mitgekriegt hätte, wäre wohl jede Hilfe zu spät gekommen.“
Einige nicken nachdenklich. Wieder hocken alle da wie in einer dichten Nebelschwade, bis Regina sich räuspert.
„Er hat sich ganz offensichtlich übernommen“, sagt sie. „Es sollte wohl sein kleiner privater Rekordversuch werden. Hundert Kilo hatte er zuvor ja noch nie gestemmt, nicht wahr, Furat? Und das um diese Zeit, alleine im Studio! Unverantwortlich, ich kann es nur immer wieder sagen: absolut unverantwortlich.“
„Aber irgendwer von uns muss ja noch da gewesen sein.“
„Natürlich. Joy hatte Dienst an diesem Abend, sie hielt sich gerade im Saunabereich auf, um zu lüften und abzusperren, als es passiert ist. Offiziell war bereits Schluss, der Bell hat eben wieder überzogen. So sind sie nun einmal, unsere lieben Kunden. Spekulieren darauf, dass keiner es wagt, sie hinauszuschmeißen. Eine Unverschämtheit, sicher … aber wenn es funktioniert! Im Grunde sind wir selbst daran schuld, man hätte das gar nicht erst einreißen lassen dürfen. Joy kann jedenfalls nichts dafür. Das hast du damals übrigens selbst zur Polizei gesagt.“
Ich bezweifle es nicht, obwohl ich mich an nichts mehr erinnern kann, was diese tragische Geschichte anlangt. Ebenso wenig entsinne ich mich des zweiten Vorfalls gerade mal eine Woche später. Wenn beiden Fälle auch sonst nichts gemein haben mögen: Für mich sind sie in ein und dasselbe Blackout gehüllt, scheinbar unwiderruflich gelöscht von meiner Festplatte. Drei ganze Wochen. Äußerst seltsam, nicht nur nach Meinung der Fachärzte.
Natürlich hat mich Regina längst über alle Details informiert, ausführlich und ausschmückend, wie es nun einmal ihre Art ist. Bereits im Krankenhaus hat sie darüber berichtet, was sich nach Bells Tod im Studio abgespielt hat; wie sie einzeln von der Polizei einvernommen wurden und was die Spurensicherer alles untersucht haben. Nach dem Tod Johannes Reicherts habe sich dann die ganze Prozedur wiederholt, nur noch genauer und langwieriger.
„Außerdem haben sie die Aufzeichnungen mitgenommen, um sie auszuwerten.“
„Welche Aufzeichnungen?“
„Na, die Videobänder halt. Gleich nach der Geschichte mit Bell haben wir vier Überwachungskameras einbauen lassen, hab ich doch noch mit dir abgesprochen. Hast du das auch vergessen?“
Ja, habe ich.
Ich bin es leid, mich immer wieder dafür entschuldigen zu müssen. Und ich will ihr nicht so recht glauben, als sie versichert, ich selbst sei mit der Installation der Videoüberwachung einverstanden gewesen. Dazu habe ich viel zu wenig am Hut mit der grassierenden Securitywelle.
Die Sicherheitsbranche ist derzeit zweifellos die mit der höchsten Zuwachsrate. Sogar vor dem kleinen Billamarkt in Treibern patrouillieren jetzt schon diese schwarz uniformierten Hilfssheriffs, mit verbissenen Visagen, als hätten sie Fort Knox zu bewachen. Und das Fazit? Es wird gleich viel gestohlen wie ehedem, nicht einmal mit den Drogensüchtigen vor dem Geschäft werden sie fertig, die einen vor und nach jedem Einkauf anschnorren. Am Ende darf der Kunde einen Sicherheitsobulus bezahlen für etwas, das er nicht braucht und das nichts bringt.
„Was haben denn die vier Kameras im Studio geholfen?“, frage ich erbost. „Haben sie vielleicht verhindert, dass ein zweites Unglück passiert? Dass auch Johannes Reichert mit den Füßen voran das Studio verlässt?“
Aber so eine Logik leuchtet ihr natürlich nicht ein.
„Immerhin könnte man im Nachhinein etwas herausfinden.“
„Zum Beispiel?“
„Na, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist.“
„Was, bitte, soll nicht mit rechten Dingen zugegangen sein? Du liest wohl zu viel Krimis, was?“
Regina liest wirklich Unmengen von Krimis. Nordische vor allem. Nicht nur von Platzhirschen wie Mankell und Stieg Larsson – sie frisst alles in sich hinein, was ihrer Sucht nach möglichst schaurigen Geschichten Futter gibt. Ich habe eine Theorie, womit das zusammenhängt: Im Grunde ist dieser wohlige Schauer vielleicht die Kehrseite desselben Gefühls, das die Leute regelmäßig im Advent überkommt. Das Rührselig-Anheimelige der sogenannten besinnlichen Zeit, deren Wirkung ja auch nicht zufällig von den länger werdenden Nächten zehrt, findet seine profane Entsprechung in der Imagination grausiger Morde. Solange nur die Gräueltaten nach dem letzten Zuklappen des
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