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Jemand Anders

Jemand Anders

Titel: Jemand Anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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wogenden Gang.
    Er drückte seine Lesebrille nach unten und beobachtete sie. Kein verstecktes Taxieren war das, sondern unverfrorenes Anstarren. Er genoss es offensichtlich, wie sie sich reflexartig die Haare zurückstrich, wie die meisten Frauen, wenn sie auf einen Männerblick positiv reagieren. Als müsste sie ihre Mähne bändigen, die ohnehin mit einer breiten Bernsteinspange am Hinterkopf befestigt war.
    Sie hatten ihre Blicke nur für Sekunden ineinander getaucht.
    Es genügte, um sich gegenseitig zu verhaken.
    Ja, wir haben uns ineinander verheddert.
    Sie schaute in die andere Richtung, mit zuckenden Lippen. Was tun? Sie konnte sich doch nicht einfach neben ihn hinsetzen und ein Bier bestellen! Also ließ sie das U Bejka rechts liegen und nahm die Treppe dahinter mit lockeren Sprüngen; lief die steile Důlní-Gasse hinauf, vorbei an den rostbraunen Ziegelmauern, die die ausgedehnten Gartenanlagen des Renaissanceschlosses schützen sollten – vor wem auch immer –, und erreichte nach einer knappen halben Stunde, ohne einem einzigen Menschen begegnet zu sein, ausgedehnte Wiesen und abgeerntete Felder, auf denen Hunderte von Strohballen in der Nachmittagssonne vor sich hin glänzten. Schön, verrückt schön! Während sie in den Nachrichten weiträumige Überschwemmungen im Grenzgebiet von Tschechien, Deutschland und Polen meldeten, stand über Český Krumlov eine unverschämt gut gelaunte Sonne, ebenso unverschämt wie der Mann vorhin. Sie beschloss, sich um keinen Weg mehr zu scheren, zog die Sandalen aus und durchquerte barfüßig die Wiesen. Um fünfzehn Uhr hatte sie ihren ersten Gipfelsieg errungen: Von einer sanften Anhöhe aus blickte sie hinab auf einen Weiler, der aus vier oder fünf rot gedeckten Gebäuden bestand, gruppiert um ein altes Gehöft, mit einem baufälligen Fabrikschornstein im Zentrum. Ob das einmal eine kleine Brauerei gewesen war? In jedem zweiten Dorf Südböhmens wurde schließlich früher Bier gebraut.
    Wie es so schön heißt in den alten Geschichten: Das Herz, es schmerzte. Bei diesem Anblick!
    Denk dir all die Touristen weg, und du bist im Himmel. Hannah hatte ihr das erste Mal von dem schnuckeligen Städtchen vorgeschwärmt, Hannah, die Einzige aus der Gilde ihrer Kolleginnen, die, warum auch immer, nicht mit ihr wetteiferte um Stipendien und Preise. Der sie vertraute, wie man einander nur vertrauen kann unter – Künstlerinnen. Das gemeinsame Geschlecht macht die Sache ja nicht unbedingt leichter. Aber auf ein paar wenige musst du dich verlassen können, was wäre das Leben ohne Komplizinnen; und sei es, indem du eine einfach zu einer solchen erklärst, ob sie es nun verdient oder nicht.
    Hannah hatte jedenfalls recht gehabt: Die Touristen waren in der Hauptsache boat people . Gern gesehene, von der Polizei unbehelligte boat people allerdings – denn nicht halb verhungert und in Fetzen gehüllt, sondern in sportlichem Outfit und mit genügend Kronen in der Brieftasche paddelten sie die Moldau hinab. Einzelkämpfer, Pärchen, ganze Familien samt Golden Retriever – noch nicht zu saturiert, um sich in ein enges Boot zu zwängen, aber betucht genug, um sich das Vergnügen leisten zu können – suchen hier den kontrollierten Kick. Wo es doch bei jeder Wehr eine Schleuse zu passieren gilt, wo es hinuntergeht in die schäumende Gischt. Nichts wirklich Gefährliches, aber ein bisschen pusht es den Adrenalinspiegel doch nach oben. Die Moldau ähnelt hier einer zahmen Anakonda, die sich liebevoll um die Stadt schlängelt. Nur manchmal, das letzte Mal beim großen Hochwasser 2002, besinnt sich die Anakonda ihrer wahren Natur.
    Sie hatte Stadt und Fluss längst aus dem Blickfeld verloren und steuerte geradewegs auf den sanften Hügel los, der aussah wie geschoren, mit Büschen als Haarkranz auf halber Höhe …
    „Wie eine Tonsur.“ Es ist das erste Mal, dass er ihren Erzählfluss unterbricht.
    „Wie was?“
    „Eine Tonsur“, wiederholt er, „die Haarpracht der Mönche im Mittelalter. Besser gesagt, die fehlenden Haare – Glatze mit dünnem Haarkranz. Das Kahlscheren war schon immer ein Zeichen für Erniedrigung.“
    „Interessant“, lacht sie unschuldig. „Muss ich mir merken, das Wort.“
    Eine Malerin, die Tonsur nicht kennt – gibt es das überhaupt? Aber sie ist ja keine akademische Malerin, hat nicht Kunstgeschichte studiert. Was das Wissen um Mönche anlangt, ist er ihr sicher um Meilen voraus.
    In Gedanken ist sie schon wieder oben auf ihrem Hügel.
    „Weißt

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