Jemand Anders
Decke.
*
„Leider verflog meine Euphorie ebenso schnell, wie sie gekommen ist.“
Sie tönt eine ganze Oktave tiefer, als sie auf die Zeit in Wien zu sprechen kommt.
„J. R. hat mich behandelt wie ... wie eine teure Puppe, eine Edelkurtisane, ja, das trifft es am ehesten. Er hat mich überhäuft mit Geschenken, mir sogar eine seiner Wohnungen gratis überlassen; mitten im siebten Bezirk, beste Lage, frisch renoviert. ‚Ich hab genug Appartements‘, hat er gesagt, ‚kannst drin bleiben, solang du willst.‘“
„Was war in Wien denn so anders als in Krumau?“
Sie überlegt. „Nicht, dass er mich nicht mehr hofiert hätte. Er konnte immer noch charmant sein, und witzig. Nein, das war es nicht. Es lag wohl daran, wie das Berufliche herübergeschwappt ist in unsere Beziehung. Der Job geht ihm einfach über alles.“
Sie erzählt von Reicherts Karriere. Wie er es geschafft hat, als Anlageberater ein solches Vermögen anzuhäufen.
Ob J. R. womöglich krumme Dinge treibe?
„Ich denke, er treibt Geschäfte mit Leuten, die krumme Dinge treiben. Er hat ja nur eine sehr spärliche, aber überaus exklusive Klientel, über die ganze Welt verteilt. ‚Ich brauche maximal zwei Dutzend Klienten, manchmal sind es auch nur zwölf bis fünfzehn‘, erklärte er mir einmal. ‚Natürlich nur die Crème de la Crème.‘ ‚Was sind das für Leute?‘, habe ich gefragt. ‚Das willst du gar nicht so genau wissen‘, hat er gelacht. ‚Meine Kunden sitzen in der Schweiz, in Bahrain, auf den Kaimaninseln … Okay, nicht ein jeder kann ein Ölprinz sein, manche machen ihren Schnitt schon mit etwas härteren Sachen.‘ ‚Was heißt härter?‘, hab ich nachgebohrt. ‚Na ja, härter eben, so wie Paks, Panzerabwehrkanonen, oder wie ein gewisser weißer Stoff, der dir einfährt … Aber lassen wir das.‘ Er redet nicht gerne übers Geschäft. Diskretion ist in seinem Beruf alles, sagt er. Nur eines sei sicher: Neunzig Prozent seiner Arbeit bestehe darin, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Darum legt er das Handy auch nie aus der Hand. Er muss Tag und Nacht erreichbar sein, wenn einer seiner wirklich wichtigen Klienten anruft – und, wie gesagt: Er hat ja nur wirklich wichtige! Die wissen wollen, in welchen Fonds gerade günstig zu investieren ist, wann Anteile umzuschichten oder abzustoßen sind. ‚Eine gute Nase ist das Um und Auf in meinem Job!‘ – das sagt er zigmal am Tag. Und weil diese Leute seine Nase offenbar schätzen, muss er eben ständig erreichbar sein. Leb du einmal mit einem zusammen, der das Handy selbst beim Beischlaf nicht auslässt … Stell dir das vor!“
Nein, das will er sich gar nicht erst vorstellen. Das Wenige, das er von Reichert weiß, genügt völlig, um den Kerl aus vollem Herzen widerlich zu finden. Unerklärlich nur, wieso sie sich überhaupt je auf einen wie ihn einlassen konnte! Die Seele der Frauen, er wird sie nie ergründen.
„Als wir nach Treibern kamen, wurde er unausstehlich. Nicht nur im Studio macht er jede Tussi an. Irgendwann begann ich mich zu ekeln vor dem Handyman in meinem Bett.“
Aber wieso kam sie überhaupt in die tiefste Provinz, nachdem sie in Wien endlich Erfolg gehabt hatte?
„Er hat mich mit dem Loft herumgekriegt. ‚Schau, Schatzi‘, hat er gesagt, es sind nur ein paar Monate, die wir dort sind, weil ich halt dieses Revitalisierungsprojekt für den Taylor, einen meiner besten Kunden überhaupt, checken muss. Vor Ort, verstehst? Weil der Taylor, der sitzt momentan in Neuseeland und kann sich selber nicht darum kümmern, also muss ich … Ich weiß eh, das Treibern ist ein Kaff, mir taugt’s ja auch nicht. Aber, pass auf, jetzt kommt die Belohnung für mein Schatziputzi: Du kannst derweil das ganze Loft in dem Areal als Atelier verwenden, das ist so riesig wie ein Flugzeughangar!“
Damit hatte er nicht zu viel versprochen. Aber selbst das luftigste Loft kann auf die Dauer eine kaputte Beziehung nicht retten. Jetzt, schwört sie, jetzt sei es endgültig vorbei.
Fein. Ausgezeichnet. Aber … Er zögert, ob er sie das wirklich fragen soll. Sie möge ihn jetzt bitte nicht falsch verstehen, aber warum suche sie sich immer Männer, die um so viel älter sind als sie?
„Reifere!“, schmunzelt sie. „Keine Ahnung, vielleicht fühle ich mich bei ihnen geborgen? Aber wenn du willst, lege ich mich gerne bei Dr. Salchinger auf die Couch und finde heraus, was in meiner Kindheit alles schiefgelaufen ist.“
Nein, das will er durchaus nicht. Er will, dass sie
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