Jenseits der Sehnsucht (German Edition)
Fenster ging nach Südosten hinaus. Das Bett war ein riesiges viereckiges Konstrukt aus Holz mit einem Sprungrahmen, der entsetzlich quietschte, sobald man sich auf die Matratze setzte.
Es gab Regale voller Bücher, Romane und Gedichtbände aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Taschenbücher zumeist, mit bunten Einbänden, die sofort ins Auge stachen. Jacob erkannte ein oder zwei Namen und blätterte die Bücher durch, aber mehr aus wissenschaftlichem denn literarischem Interesse. Cal war es, der zum Vergnügen las, der das Talent besaß, sich Zitate und Gedichte zu merken. Jacob dagegen empfand es als unsinnig, eine Stunde seiner Zeit an etwas zu verschwenden, was nicht auf Fakten beruhte.
Fasziniert erinnerte er sich, dass man zu der jetzigen Zeit noch Holz benutzte, um Buchseiten zu produzieren. Die eine Hälfte der Bevölkerung fällte Bäume, um Platz für Häuser zu machen und aus dem Holz Möbel und Papier und Brennstoff herzustellen, die andere Hälfte beeilte sich, neue Bäume zu pflanzen, ohne jedoch je aufholen zu können.
Ein seltsames Spiel, das schließlich fast zu ernsthaften Umweltproblemen geführt hatte. Zusätzlich hatten sie damals auch noch die Luft mit Kohlendioxyd verpestet, fröhlich Löcher in die Ozonschicht gerissen und dann hilflos die Hände in die Luft geworfen, als die Konsequenzen deutlich wurden. Jacob fragte sich, was das für Menschen sein mussten, die sich die eigene Luft zum Atmen nahmen. Und das Wasser hatten sie auch ungenießbar gemacht. Das war auch so ein Spiel gewesen – alles, was nicht mehr zu gebrauchen war, einfach ins Meer zu schütten, so als wäre der Ozean eine Müllhalde. Nur gut, dass sie noch rechtzeitig zu Verstand gekommen waren, bevor die Schäden nicht mehr zu reparieren gewesen wären.
Jacob wandte sich vom Fenster ab und wanderte durch den Raum, strich mit den Fingern über die Tapete, die Bettdecke, die Bettpfosten. Interessante Materialien, sicher, aber …
Er blieb stehen, als ihm ein in Silber gerahmtes Foto ins Auge fiel. Der Rahmen allein hätte seine Aufmerksamkeit erregt, aber das Bild interessierte ihn viel mehr. Sein Bruder. Lächelnd. Cal trug einen Smoking und sah sehr zufrieden mit sich aus. Sein Arm lag um die Hüfte der Frau, die Libby hieß. Sie hatte Blumen im Haar und trug ein langärmeliges weißes Kleid mit einem Spitzenkragen.
Ein Hochzeitskleid, dachte Jacob. In seiner Zeit kam es wieder in Mode, aufwendig zu heiraten, nachdem es eine Zeit lang verpönt gewesen war. Man fand wieder Gefallen an den alten Traditionen. Dabei gab es keinerlei logische Gründe dafür. Eine Ehe war nichts als ein Vertrag, der geschlossen und auch wieder gelöst werden konnte. Doch die prunkvollen Zeremonien vergangener Zeiten schienen wieder Fuß zu fassen.
Man bevorzugte sogar die feierliche Atmosphäre der Kirchen und tauschte Ringe und ein Gelübde aus. Modedesigner kopierten hektisch Entwürfe der im Museum ausgestellten Kleider. Das Kleid, das Libby auf dem Foto trug, hätte alle Frauen, die für die Riten der Eheschließung schwärmten, grün vor Neid werden lassen.
Jacob konnte dieses ganze Brimborium nicht nachvollziehen. Er fand es absolut unverständlich, und sicherlich hätte es ihn amüsiert, wenn nicht sein Bruder davon betroffen gewesen wäre. Ausgerechnet Cal, der immer von Frauen umschwärmt worden war, Cal, der weibliche Gesellschaft genoss, aber nie eine spezielle Frau vorgezogen hatte. Die Vorstellung, dass Cal sich dauerhaft an eine Frau gebunden hatte, war einfach unlogisch. Und doch – mit diesem Bild hielt Jacob den Beweis in der Hand.
Es machte ihn maßlos wütend.
Cal hatte seine Familie, sein Heim, seine Welt aufgegeben. Für eine Frau. Jacob stellte das Foto viel zu heftig auf die Kommode zurück und wandte sich ab. Temporärer Wahnsinn musste Cal ergriffen haben, es gab einfach keine andere Erklärung. Keine Frau konnte eine so drastische Veränderung bewirken. Und was gäbe es hier sonst, um einen Mann zu halten? Oh, sicher, es war interessant hier. Faszinierend genug, um ein paar Wochen mit dem Studium der Gegebenheiten und der allgemeinen Forschung zu verbringen. Bestimmt würde er eine Serie von Artikeln und Berichten schreiben, sobald er wieder in seiner Zeit war. Aber wie hieß es noch? Auf einen Besuch gerne, aber hier leben? Nein, danke.
Er würde Caleb schon wieder zu Verstand bringen. Was immer diese Frau mit seinem Bruder gemacht hatte, er würde es richten. Niemand kannte Caleb Hornblower besser
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