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Jenseits der Sehnsucht (German Edition)

Jenseits der Sehnsucht (German Edition)

Titel: Jenseits der Sehnsucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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als sein eigener Bruder.
    Sie hatten sich vor noch gar nicht allzu langer Zeit gesehen. Aber Zeit ist relativ, dachte Jacob erneut, dieses Mal ohne Humor. Den letzten gemeinsamen Abend hatten sie in Jacobs Quartier auf dem Institutscampus verbracht. Sie hatten Poker gespielt und venusischen Rum getrunken, einen sehr starken Schnaps, der auf dem Nachbarplaneten produziert wurde. Cal hatte eine ganze Kiste davon von seinem letzten Flugauftrag mitgebracht.
    Jacob erinnerte sich daran, dass Cal wie immer fröhlich gewesen war und sogar bester Laune beim Spiel verloren hatte. Und dass sie beide sturzbetrunken gewesen waren.
    »Wenn ich von diesem Auftrag zurückkomme«, hatte Cal gesagt und mit dem Stuhl gewippt, »werde ich drei Wochen am Strand von Südfrankreich verbringen, mir die Schönheiten ansehen und darauf achten, ja nicht nüchtern zu werden.«
    »Das hältst du genau drei Tage aus«, hatte Jacob eingewandt und die schwarze Flüssigkeit in seinem Glas kreisen lassen. »Dann musst du wieder in die Luft. Ist dir eigentlich klar, dass du in den letzten zehn Jahren mehr Zeit da oben als hier auf dem Boden verbracht hast?«
    »Und du fliegst nicht oft genug.« Grinsend hatte Cal Jacob das Glas aus der Hand gerissen und den Inhalt hinuntergestürzt. »Du bist in deinem Labor angekettet, Brüderchen. Ich sage dir, es macht viel mehr Spaß, von einem Planeten zum anderen zu hüpfen, als sie zu studieren.«
    »Ansichtssache. Würde ich sie nicht studieren, könntest du nicht hüpfen.« Er war tiefer in seinen Stuhl gerutscht, zu träge, sich ein neues Glas einzuschütten. »Außerdem bist du der bessere Pilot von uns beiden. Das ist übrigens das Einzige, in dem du besser bist als ich.«
    Cals Grinsen war breiter geworden. »Ansichtssache. Frag Linsy McCellan.«
    Jacob hatte sich dazu aufgerafft, eine Augenbraue hochzuziehen. Linsy McCellan, eine Tänzerin, verteilte ihre Vorzüge großzügig an beide Brüder – zu verschiedenen Zeiten natürlich. »Sie ist eben leicht zu beeindrucken.« Dann war sein Grinsen hinterhältig geworden. »Wie auch immer, ich bin hier, auf dem Boden, also sehr viel häufiger bei ihr als du.«
    »Selbst Linsy«, Cal hatte sein Glas auf die Abwesende erhoben, »kann mit dem Fliegen nicht konkurrieren.«
    »Mit Frachtflügen? Wärst du bei der ISF geblieben, könntest du dich jetzt Major nennen.«
    Cal hatte nur mit der Schulter gezuckt. »Ich überlasse es dir, Dr. Hornblower, dich den Regeln zu fügen.« Dann hatte er sich aufgesetzt, wenn auch mit Schwierigkeiten. »J. T., warum machst du dich nicht mal frei und kommst einfach mit? Da gibt es einen Club in der Brigston-Kolonie auf dem Mars, das musst du gesehen haben, um es glauben zu können. Der Saxofonspieler ist ein Mutant … Komm schon, komm mit.«
    »Ich muss arbeiten.«
    »Du musst immer arbeiten. Zwei Wochen nur, J. T. Flieg mit mir rauf. Um den Transport brauchst du dich also schon nicht zu kümmern. Und dann sehen wir uns die Frauen am Strand gemeinsam an.«
    Es war verlockend gewesen, fast hätte Jacob zugesagt. Der Impuls war eindeutig da gewesen – genau wie das Verantwortungsgefühl. »Geht nicht.« Mit einem Seufzer hatte er nach der Flasche gegriffen. »Ich muss diese Gleichungen bis Anfang des Monats fertig haben.«
    Ich hätte mitfliegen sollen, dachte Jacob jetzt. Er hätte Gleichungen und Verantwortung zum Teufel jagen und mit Cal auf diesen Flug gehen sollen. Vielleicht wäre das alles dann nicht passiert. Oder wenn doch, dann wäre er zumindest mit seinem Bruder zusammen gewesen.
    Die Aufnahmen von Cals ramponiertem Schiff hatten gezeigt, was Cal hatte durchmachen müssen. Das Schwarze Loch, die Panik, die Hilflosigkeit, mit der er der Gravitation ausgeliefert gewesen war. Ein Wunder, dass er das überlebt hatte, und ein Tribut an seine Fähigkeiten als Pilot. Aber mit einem Wissenschaftler an Bord hätte er sich den Rest vielleicht ersparen können. Dann wäre er jetzt längst zu Hause. Sie beide wären zu Hause. Wo sie hingehörten.
    Jacob wandte sich vom Fenster ab. In ein paar Wochen würden sie zu Hause sein. Alles, was er tun musste, war warten.
    Um sich die Zeit zu vertreiben, ging er zu dem klobigen alten Computer in der Ecke des Raumes und baute ihn auseinander und wieder zusammen, untersuchte Chips und Schaltkreise und Schalter. Aus Neugier schob er eine von Libbys Disketten in das Laufwerk.
    Es handelte sich um einen ausführlichen Bericht über irgendeinen zurückgezogen lebenden Stamm im Südpazifik.

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