Jenseits der Sehnsucht (German Edition)
Zeichnungen und Fotos von Städten, von Menschen am Strand.
Ihr Talent war offensichtlich, ein gutes Auge für Details und eine scharfe Auffassungsgabe. Sollte sie sich je für eine Berufsrichtung entscheiden, würde sie es in kürzester Zeit bis an die Spitze schaffen. Doch erstaunlicherweise gefiel sie ihm so, wie sie war – oft zerstreut, verzettelt, wissbegierig, immer auf der Suche nach etwas Neuem. Er wollte sie nicht ändern.
Aber sie hatte ihn verwandelt. Es fiel ihm nicht leicht, das zuzugeben, aber das Zusammensein mit ihr hatte einige seiner Grundüberzeugungen erschüttert. Er konnte also doch mit nur einem Menschen zufrieden sein, Kompromisse waren nicht gleichbedeutend mit Kapitulation, und Liebe hieß nicht, sich selbst zu verlieren, sondern so viel mehr dazuzugewinnen.
Und sie hatte ihn dazu gebracht, sich die Frage zu stellen, wie er den Rest seines Lebens ohne sie auskommen sollte.
Er drehte sich zum Schlafzimmer um und ging sie suchen.
Sie stand in etwas, das er zuerst für einen Schrank hielt. Dann sah er das Bett und wusste, es war ihr Schlafzimmer. Es war wohl nicht mehr als sechs Quadratmeter groß, doch Sunny hatte jeden Zentimeter des Raumes genutzt. Da gab es noch mehr Bücher, einen riesigen Stoffbären in knalligem Orange, Schlittschuhe. Skier waren wie Säbel an der Wand aufgehängt. Auf der Kommode standen unzählige Flaschen und Fläschchen, mindestens zwanzig verschiedene Duftnoten. Mittendrin ein Foto ihrer Familie.
Er konnte sich nur schlecht darauf konzentrieren, nicht, wenn sich Sunny mit bloßem Oberkörper direkt neben dem Bett befand. Sie hatte seinen Pullover ausgezogen. Den Pullover, den er ihr für die restliche Fahrt hatte leihen müssen, weil er ihr Hemd zerrissen hatte. Jetzt kramte sie in ihrem Kleiderschrank nach einem neuen Oberteil, während sie mit einem Ohr auf die Einheit lauschte, die als Radio, Wecker und Anrufbeantworter diente.
»He, Baby.«
Die Stimme, die aus der Maschine kam, war männlich und sehr einschmeichelnd. Und im gleichen Moment, als Jacob sie vernahm, verabscheute er ihren Besitzer auch schon.
»Hier ist Pete. Bist du etwa immer noch sauer? Komm schon, Sunny. Schätzchen. Irgendwann musst du mir ja doch verzeihen, oder? Ruf mich an, dann gehen wir zusammen aus. Ich vermisse dein hübsches Gesicht.«
Sunny schnaubte und zog ein Sweatshirt hervor.
»Wer ist Pete?«
»Huch.« Sie schlug sich die Hand auf die Brust. »Himmel, hast du mich erschreckt!«
»Wer ist Pete?«, wiederholte er.
»Ach, bloß so ein Typ.« Sie zog sich das Sweatshirt über. »Ich hatte gehofft, du würdest mir eine Limonade mitbringen.« Sie setzte sich auf das Bett, um sich die Stiefel auszuziehen.
»Sunny.« Dieses Mal ertönte eine sanfte weibliche Stimme. »Libby und Cal haben eine Postkarte geschickt. Melde dich, wenn du zurück in der Stadt bist.«
»Meine Mutter«, erklärte Sunny und wackelte mit den Zehen. Grinsend reichte sie Jacob den Pullover. »Hier, den kannst du jetzt wieder zurückhaben.«
Er hätte nicht sagen können, was genau er fühlte. Also zog er stumm den Parka aus. Darunter kam seine bloße Brust zum Vorschein. Als er sich daranmachte, den Pullover über den Kopf zu stülpen, ertönte die nächste männliche Stimme aus der Maschine.
»He, Sunny, Marco hier. Wo, zum Teufel, steckst du? Ich versuche dich schon die ganze Woche zu erreichen. Klingel durch, wenn du wieder da bist.« Dann folgte noch ein Geräusch, das an einen schmatzenden Kuss erinnerte.
»Wer ist Marco?« Jacob blieb bedrohlich leise.
»Ein anderer Typ.« Sie zog kritisch eine Augenbraue in die Höhe, als er sie beim Arm fasste und auf die Füße zog.
»Wie viele gibt es?«
»Nachrichten?«
»Männer.«
»Sunny, Bob hier. Ich dachte mir, du würdest vielleicht gern …«
Hastig drückte Sunny auf den Knopf, um den Anrufbeantworter abzustellen, aber ihre Stimme blieb ruhig. »Ich habe sie nicht gezählt, J. T. Möchtest du gern unsere bisherigen Leben miteinander abgleichen?«
Er antwortete nicht, weil er nicht konnte. Er ließ sie los und ging.
Eifersucht. Sie fraß ihn auf. Er verabscheute dieses Gefühl. Er hielt sich nicht unbedingt für einen beherrschten Mann, aber er war intelligent. Natürlich hatte sie vor ihm ein Leben gehabt. Eine Frau wie sie, schön, klug, faszinierend, musste anziehend auf Männer wirken. Auf viele Männer. Und hätte er die Möglichkeit dazu, würde er jeden Einzelnen von ihnen mit eigenen Händen umbringen. Weil sie angefasst
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