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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Jaff.
    Er stand am höchsten Fenster von Coney Eye und sah auf die Einfahrt hinunter. Es war kurz vor Mittag; die Limousinen, die vorfuhren, verkündeten die Ankunft der ersten Partygäste. Er hätte Tommy-Ray gerne in diesen entscheidenden Stunden an seiner Seite gehabt, aber der Junge war noch nicht wieder von seinem Ausflug zur Mission zurückgekehrt. Einerlei. Lamar hatte sich als mehr als gleichwertiger Ersatz erwiesen. Es war ein unangenehmer Augenblick gewesen, als der Jaff schließlich die Maske von Buddy Vance abgelegt und dem Komiker sein wahres Gesicht gezeigt hatte, aber er hatte nicht lange gebraucht, den Mann auf seine Seite zu ziehen. In mancher Hinsicht war er eine angenehmere Gesellschaft als Tommy-Ray; sinnlicher, zynischer. Und wichtiger noch war, er kannte die ganzen Gäste, die sich bald zum Gedenken von Buddy Vance versammeln würden; kannte sie sogar gründlicher als Rochelle, die Witwe. Seit dem vergangenen Abend war sie immer tiefer in eine drogeninduzierte Benommenheit
    versunken, die sich Lamar, sehr zum Vergnügen des Jaff, sexuell zunutze gemacht hatte. Früher einmal - vor langer Zeit
    - hätte er vielleicht selbst so gehandelt. Nein, nicht vielleicht, ganz sicher. Rochelle Vance war zweifellos wunderschön, und ihre Sucht, die von ständiger, unterschwelliger Wut genährt wurde, machte sie noch attraktiver. Doch das waren
    fleischliche Dinge, die zu einem anderen Leben gehörten. Er hatte wichtigere Angelegenheiten: beispielsweise die Kraft, die er aus den Gästen ziehen wollte, welche sich gerade unten versammelten. Lamar war die Liste mit ihm durchgegangen und hatte praktisch zu jedem die eine oder andere wüste Bemerkung machen können. Korrupte Anwälte, süchtige
    Schauspieler, bekehrte Huren, Zuhälter, Priapisten, bezahlte Killer, weiße Männer mit schwarzen Seelen, heiße Männer mit 473
    kalten, Arschlecker, Koksschnüffler, die verdorbenen oberen Zehntausend, die noch verdorbeneren unteren Zehntausend, Egoisten, Onanisten und Hedonisten bis auf den letzten Mann.
    Wo sollte er die Kraft besser finden, die ihn vor Schaden beschützen würde, wenn sich die ›Kunst‹ öffnete? In diesen süchtigen, ängstlichen Seelen mit ihren aufgeblähten Egos würde er Ängste finden, wie sie die gewöhnlichen Kleinbürger niemals haben konnten. Aus ihnen würde er Terata entstehen lassen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Dann würde er bereit sein. Fletcher war tot, seine Armee hielt sich, so sie sich denn tatsächlich manifestiert hatte, im Verborgenen.
    Nichts stand mehr zwischen dem Jaff und der Essenz.
    Als er am Fenster stand und verfolgte, wie die Opfer ausstiegen, einander mit Lächeln wie Bergkristall und verkniffenen Küssen begrüßten, schweiften seine Gedanken - ausgerechnet - zum Zimmer der Postirrläufer in Omaha, Nebraska, wo er, vor so vielen Leben, zum ersten Mal etwas vom ge-heimen Leben Amerikas mitbekommen hatte. Er dachte an Homer, der ihm die Tür zu dieser Schatzkammer aufgemacht hatte und der später durch das Messer mit der kurzen, stumpfen Klinge, das der Jaff immer noch in der Tasche trug, ebendort gestorben war. Damals hatte der Tod noch etwas bedeutet. Er war ein Erlebnis gewesen, vor dem einem graute. Erst als er in der Schleife gewesen war, war ihm klar geworden, wie
    irrelevant dererlei Ängste waren, wenn selbst ein kleiner Scharlatan wie Kissoon die Zeit anhalten konnte. Wahrscheinlich war der Schamane immer noch sicher in seiner Zuflucht, so weit von seinen Gläubigern oder dem Lynchmob entfernt, wie es überhaupt nur ging. Er verweilte in der Schleife und plante, wie er Macht bekommen konnte. Oder sie von sich fernhielt.
    Dieser letzte Gedanke kam ihm eben erst, wie die längst überfällige Lösung eines Rätsels, mit dem er sich, ohne es zu wissen, beschäftigt hatte. Kissoon hatte den Augenblick ange-474
    halten, denn wenn er ihn entgleiten ließ, würde er seinen eigenen Tod entfesseln...
    »Nun...«, murmelte er.
    Lamar stand hinter ihm. »Nun, was?«
    »Ich überlege nur«, sagte der Jaff. Er wandte sich vom Fenster ab. »Ist die Witwe schon unten?«
    »Ich versuche, sie zu wecken.«
    »Wer begrüßt die Gäste?«
    »Niemand.«
    »Übernimm du das.«
    »Ich dachte, ich sollte hierbleiben.«
    »Später. Wenn sie alle angekommen sind, kannst du sie einen nach dem anderen heraufbringen.«
    »Wie du wünschst.«
    »Eine Frage.«
    »Nur eine?«
    »Warum hast du keine Angst vor mir?«
    Lamar kniff die Augen zusammen. Dann sagte er: »Ich weiß

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