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Jenseits des Bösen

Jenseits des Bösen

Titel: Jenseits des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Schwelle zum Kosm erreichten, würden sie einzeln durchsteigen müssen, es sei denn, sie konnten es, nachdem das Gefüge einmal aufgebrochen war, erweitern, bis es weit klaffte.
    »Sieht nicht so gefährlich aus«, sagte sie zu Jaffe. »Wir haben eine Chance, wenn wir schnell genug sind.«
    »Ich weiß nicht, wie ich es verschließen soll.«
    »Versuchen Sie es. Sie wußten auch, wie man es aufreißt.«
    »Das war Instinkt.«
    »Und was sagen Ihnen Ihre Instinkte jetzt?«
    »Daß ich keine Kraft mehr in mir habe«, sagte er. Er hob die verstümmelten Hände. »Ich habe sie abgebissen und ausgespuckt.«
    »Sie war nur in Ihren Händen?«
    »Ich glaube ja.«
    Sie erinnerte sich an den Anblick im Einkaufszentrum: Der Jaff spritzte Gift in Fletchers Körper aus Fingern, die Energie zu schwitzen schienen. Jetzt waren eben diese Hände
    verwesende Stümpfe. Aber sie konnte nicht glauben, daß Kraft eine Frage der Anatomie war. Kissoon war kein Halbgott, und doch war sein ausgemergelter Körper ein Reservoir der erschreckendsten Zaubersprüche. Wille war der Schlüssel zur 717
    Macht, und Jaffe schien keinen mehr zu haben.
    »Sie können es also nicht«, sagte sie nur.
    »Nein.«
    »Dann kann ich es vielleicht.«
    Er kniff die Augen zusammen. »Das bezweifle ich«, sagte er mit einem leicht herablassenden Unterton in der Stimme. Sie tat so, als hätte sie es nicht bemerkt.
    »Ich kann es versuchen«, sagte sie. »Der Nuncio ist auch in mir, wissen Sie noch? Sie sind nicht der einzige Gott in der Mannschaft.«
    Diese Bemerkung zeitigte genau das Ergebnis, das damit be-zweckt worden war.
    »Sie?« sagte er. »Sie haben nicht die geringste Chance.« Er betrachtete seine Hände, dann wieder das Schisma. »Ich habe es aufgemacht. Ich bin der einzige, der das jemals gewagt hat.
    Und ich bin der einzige, der es wieder verschließen kann.«
    Er ging an ihr vorbei auf das Schisma zu, und sein Schritt war wieder so leicht wie zuvor, als sie aus der Höhle geklettert waren. Das ermöglichte ihm, den unebenen Boden mit relativer Leichtigkeit zu überqueren. Erst als er noch einen oder zwei Meter von dem Loch entfernt war, wurde er langsamer. Dann blieb er stehen.
    »Was ist denn?« sagte sie.
    »Sehen Sie selbst.«
    Sie ging durch das Zimmer auf ihn zu. Dabei stellte sie fest, daß nicht nur die sichtbare Welt verzerrt und zu dem Loch hin gekrümmt war, sondern auch die unsichtbare. Die Luft und die darin enthaltenen winzigen Staub- und Schmutzteilchen waren verzogen. Der Raum selbst war verschlungen, die Falten derart eingedickt, daß man sich nur mit Mühe hindurchbewegen konnte. Dieser Effekt war um so stärker, je näher sie dem Loch kam. Ihr Körper, der ohnedies bis aufs äußerste belastet war, war der Anforderung kaum gewachsen. Aber sie war
    beharrlich. Und sie kam ihrem Ziel Schritt für Schritt näher, bis 718
    sie so dicht an dem Loch war, daß sie in seinen Schlund sehen konnte. Es war kein leicht zu ertragender Anblick. Die Welt, die sie ihr ganzes Leben lang als vollständig und verständlich angesehen hatte, war dort vollkommen aus den Fugen geraten.
    Ein solches Unbehagen hatte sie nicht mehr empfunden, seit jemand - wer, das wußte sie nicht mehr - ihr in ihrer Kindheit den Trick beigebracht hatte, durch zwei einander gegenüber aufgestellte Spiegel in die Unendlichkeit zu schauen. Damals war sie zwölf gewesen, höchstens dreizehn, und durch und durch verängstigt angesichts dieser Leere, die Leere wiedergab, hin und her, hin und her, bis zum Ende des Lichts. Sie hatte sich jahrelang an diesen Augenblick erinnert, als sie mit der physikalischen Repräsentanz von etwas konfrontiert worden war, wogegen ihr Verstand aufbegehrte. Hier lag derselbe Prozeß vor. Das Schisma stand in krassem Widerspruch zu ihren sämtlichen Vorstellungen von der Welt. Wirklichkeit als vergleichende Wissenschaft.
    Sie sah in den Schlund. Nichts, was sie dort erblickte, war sicher. Wenn es eine Wolke war, dann eine bereits halb zu Regen gewordene Wolke. Wenn es Regen war, dann Regen, der im Begriff war, zu entflammen und zu Feuer zu werden.
    Und jenseits von Wolke, Regen und Feuer ein gänzlich anderer Ort, aber ebenso zweideutig wie das Chaos der Elemente, das ihn halb verbarg: ein Meer, das ohne Horizont zum Himmel wurde. Die Essenz.
    Sie wurde von dem heftigen, beinahe unwiderstehlichen Verlangen gepackt, dort zu sein, durch das Schisma zu klettern und das Geheimnis drüben zu kosten. Wie viele Suchende, die in Fieber- oder Drogenträumen

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