Jenseits des Tores
erschöpfte sich nicht in der Abwesenheit von Licht; sie schien auf unbegreifliche Weise materiell, und doch war sie auch gänzlich anders, als bestünde sie aus dichtgeballten Wolken oder auch nur etwas ähnlichem.
Lilith fror wie in eisiger Kälte, obwohl die Luft um sie her fast stickig war und heiß.
Was immer die Finsternis dort oben war - sie war nicht für eines Menschen Blickes bestimmt, und der menschlichen Sprache mußten die Worte fehlen, sie zu beschreiben.
Sie vermittelte Bedrohung. Und böse mochte vielleicht ein Wort sein, das ihre Präsenz ganz vage bezeichnen konnte.
Schaudernd und von aufsteigender Übelkeit geplagt wandte Lilith alle Aufmerksamkeit wieder dem Tor zu. Es glich dem, durch das sie gezogen worden war - drüben, tief im Fels unterhalb jenes geheimnisvollen Klosters.
Bis auf zwei Dinge:
Es war geschlossen.
Und es stand frei, war nicht umschlossen von Fels!
Lilith war sich nicht sicher, welche dieser beiden Tatsachen sie in stärkerem Maße beunruhigte.
Daß die Flügel des Portals geschlossen waren und beinahe fugenlos aneinanderlagen, bedeutete, daß sie es öffnen mußte, wenn sie diesem Ort den Rücken kehren wollte. Und nichts wollte sie mehr! Doch der bloße Versuch, es zu tun, schien ihr von vorneherein fast aussichtslos. Jede einzelne der beiden Torhälften sah tonnenschwer aus und würde es mit Gewißheit auch sein. Das geschwärzte Holz schien ihren Blicken wie Stein. Selbst ihre Kräfte, die als Folge ihres vampirischen Erbgutes denen eines Menschen weit überlegen waren, konnten nicht genügen, es zu bewegen.
Zudem scheiterte der Versuch allein daran, daß sie schlicht keine Möglichkeit hatte, das Tor zu öffnen! Es gab nichts in der Art von Riegeln oder Zugringen, die Lilith hätte fassen können, um daran zu ziehen. Und der Spalt zwischen den beiden Flügeln war kaum breiter als ein Haar; zu schmal in jedem Fall, um auch nur die Fingerspitzen dazwischen zu zwängen.
Nun wandte Lilith schließlich doch den Blick und sah zu beiden Seiten des Tores hin.
Rings um sie her erstreckte sich unter der dräuenden Schwärze eine helle Ebene, nicht weiß, sondern eher von einem schmutzigen Gelb, durch das sich hier und da alle möglichen Schattierungen von Grau zogen. Winde aus dem Nichts strichen darüber, wehten den Staub empor und breiteten ihn zu Nebeln aus, die sich nur zögernd wieder senkten. Zugleich brachten die Böen einen Geruch mit, der Lilith vage vertraut schien. Einzuordnen oder zu benennen vermochte sie ihn jedoch nicht. Dennoch weckte allein die vage Erinnerung Ekel in ihr.
Irgendwo in der Ferne verschmolz die Ebene mit dem brodelnden Schwarz, doch Lilith machte keinen Horizont aus. Vielmehr hatte es den Anschein, als würde die Ebene dort draußen von der Finsternis verzehrt .
Als die Halbvampirin am Portal entlangschritt (zwanzig Schritte brauchte sie, um den Rand zu erreichen), wölkte unter ihren Füßen mehliger Staub auf, der sich wie graugelber Puder auf ihr Mimikrykleid und die nackte Haut legte, die der schwarze, »lebende« Stoff freiließ. Lilith fröstelte unter dem seltsam seidigen Gefühl. Sie wußte, daß auch dieses Empfinden von dem herrührte, woran der Staub sie erinnerte, obwohl die Erinnerung nach wie vor nicht konkret war. Als zöge sie es vor, unbestimmbar zu bleiben. Zu Liliths eigenem Wohl .
Die staubige Wüstenei führte auch hinter (oder mußte es heißen: vor?) dem Tor weiter und reichte ins Nichts, bis sie von der Schwärze verschlungen wurde. Nichts war dort draußen zu sehen, das auch nur auf die Gegenwart von etwas Lebendem hingewiesen hätte.
Lilith war darüber nicht so unglücklich, wie sie selbst befürchtet hatte. Denn immerhin bedeutete die Leere nicht nur Einsamkeit, sondern auch, daß ihr keine Gefahr drohte. Zumindest dem Augenschein nach .
Erstaunt nahm sie die Tiefe des Tores zur Kenntnis. Sie mußte einen Meter betragen, und diese Feststellung deckte sich nicht mit ihrer Erinnerung. Obwohl sie das Tor bei ihrem Eintritt nur kurz gesehen hatte, weil ihre vor Furcht und Hilflosigkeit durcheinanderstürzenden Gedanken sie fast blind und taub gemacht hatten, war sie ziemlich sicher, daß die Flügel des Portals nicht von solcher Stärke gewesen waren.
Was ging hier nur vor? Vor allem aber beschäftigte Lilith eine andere, drängendere Frage: Wie komme ich wieder von hier weg?
Das Tor würde nicht der Weg sein, auf dem sie zurückkehren konnte, wenn sie keine Möglichkeit fand, es zu öffnen. Und selbst wenn: Wo
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