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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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erhob sie sich. »Mach die Augen zu!«, befahl sie mit einer kalten, fremden Stimme.
    Aurelia wusste weder, ob der Befehl ihr galt, noch, was sie damit bezweckte. Unmöglich konnte sie die Augen schließen, konnte sie nur immer weiter aufreißen, um Esteban anzustarren, der nunmehr verständnislos auf die Pistole der Mutter glotzte. Anders als seine Hände zitterten deren nicht.
    »Mama!«, schrie Aurelia.
    »Mach die Augen zu!«, gab die Mutter wieder zurück.
    Aurelia duckte sich.
    Estebans Verwirrung wich unterdessen Hohn. Er lachte auf, und es klang ähnlich schrill wie sein Schmerzenslaut. »Du erschießt mich nie und nimmer!«, lästerte er. »Nicht du, du kleine, ängstliche Rita.«
    Immer noch zitterten die Hände der Mutter nicht.
    »Ich bin nicht Rita«, erklärte sie kalt. »Nicht für dich. Und ich habe keine Angst mehr vor dir.«
    Sie trat einen Schritt auf Esteban zu, und dann geschah alles so schnell.
    Da war dieser ohrenbetäubende Knall, der Aurelias Ohren zu zerreißen schien. Da war Esteban, der wankte, sich im Kreis drehte, als vollführe er einen grotesken Tanz, und schließlich zu Boden kippte. Da war die große Blutlache, die sich auf seiner Brust ausbreitete. Als der Schuss verklungen war, glaubte Aurelia, ein Stöhnen zu hören, doch es kam nicht von ihm, sondern von der alten Agustina.
    Unbemerkt war sie wieder zu sich gekommen und hatte sich mühsam aufgerappelt. Verzweifelt schrie sie »Nicht!«, doch da war es schon zu spät, da hatte ihre Mutter schon geschossen. Agustinas Augen waren erst schreckgeweitet auf sie gerichtet, dann glitten sie zu ihrem Sohn. Wieder schrie sie etwas, doch diesmal konnte Aurelia es nicht verstehen. Estebans Augen waren weit aufgerissen und völlig starr – ähnlich wie die der Mutter, die mit kaltem, hartem Blick die Pistole fallen ließ, jedoch keinen Schritt von dem Toten zurückwich. Dann sagte sie etwas, was Aurelia nicht verstand.
    »Ich weiß meinen Namen wieder«, murmelte ihre Mutter, die alle Rita nannten. »Ich weiß wieder, wie ich heiße.«
    Die Worte waren kaum verklungen, als Schritte ertönten. Während Agustina halb stöhnte, halb schluchzte, die Blutlache um den toten Esteban größer wurde, und die Mutter ein ums andere Mal sagte, dass sie ihren Namen wieder wisse, sah Aurelia, wie Jerónimo mit seinem üblichen eisigen Grinsen in die Höhle gelaufen kam.

    Seit dem Schuss rauschte es in Ritas Ohren. Sie hörte nichts, hörte rein gar nichts. Sie sah, dass Aurelia weinte, dass Agustinas Mund weit geöffnet war, als sie Wehklagen ausstieß, und dass auf Jerónimo so viele andere Männer folgten, unter deren Füßen der sandige Boden knirschen musste. Aber nichts davon drang zu ihr durch.
    Sie starrte in Jerónimos kalte Augen und empfand zum ersten Mal keine Furcht vor ihm, nicht einmal Unbehagen.
    Sie wusste wieder, wie sie hieß. Sie hatte Esteban erschossen, und dann war es ihr eingefallen.
    Leicht fühlte sie sich kurz, leicht und von allem losgelöst. Aber dann erstarb das Rauschen plötzlich, und sie konnte Jerónimos Stimme hören. Sie rechnete damit, er würde auf sie losgehen, sie töten oder zumindest auf sie einschlagen, doch nun erkannte sie, dass er einen ganz anderen Weg erwählt hatte, um Esteban zu rächen.
    »Kommt!«, schrie er, und seine Stimme hallte von den Wänden der Höhle. »Kommt und seht! Diese Rothaut hat einen weißen Mann erschossen! Er war völlig wehrlos, und sie hat ihn einfach umgebracht.«
    Sein Lächeln wurde triumphierend, doch bald schwand es von den Lippen – klagend und verzweifelt wurde vielmehr seine Miene, als er sich zu den Uniformierten umdrehte, die nun in die Höhle stürmten, zu Balthasar, dessen Erleichterung, Aurelia zu sehen, sich rasch in Entsetzen wandelte, als sein Blick auf den toten Esteban glitt, zu Pedro, der immer wieder schrie: »Wo ist die Kleine? Wo ist die Kleine?«
    Auch er verstummte, als er den toten Esteban sah – nicht minder entsetzt wie Balthasar: Der Tod dieses Unholds erschütterte die beiden mitnichten, aber sie begriffen – genauso wie es Rita nun begriff –, welche Folgen es für sie haben würde.
    Einer der Pampa-Polizisten war vorgetreten und beugte sich zum toten Esteban herunter. »Er ist tot«, stellte er fest. Agustina schlug sich die Hände vor die Lippen, um einen klagenden Laut zu drosseln.
    »Er hat mein Kind entführt«, sagte Rita leise. »Er hat mir mein Kind geraubt, ich musste mich doch wehren.«
    Wieder erschien dieser triumphierende Glanz in

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