Jerry Cotton - 0522 - Das Maedchen mit dem Killerblick
und mir, Polizist?«
Ich tippte an den Hut und wandte mich der nächsten Wohnung zu. Ich trieb dieses' vergebliche Spiel bis zum bitteren Ende. Ungefähr gegen neun Uhr hatte ich mir die letzte Absage geholt. Ich schob die Bilder in die Tasche, ging die Treppe hinunter und steuerte durch den unbeleuchteten Hausflur den Ausgang an.
»Mr. G-man!« wurde ich halblaut aus der Dunkelheit angerufen. Aus irgendeiner Nische tauchte eine kleine Gestalt auf. Eine Kinderhand berührte meinen Arm. Ich bückte mich und erkannte den Jungen, dessen Mutter ihn mit einer Ohrfeige an den Tisch zurückgejagt hatte. »Hallo«, sagte ich. »Kann ich irgend etwas für dich tun?«
»Ray hat'mich mal auf 'nem Motorrad mitfahren lassen«, sagte er. »Wollen Sie mir die Bilder zeigen, G-man?«
»Hast du irgendwen gesehen?«
Er nickte ernsthaft. »Drei Männer.« Er streckte die Finger seiner .rechten Hand aus. »Einer stieß mich zur Seite.« Ich zog die Bilder hervor, aber das Licht einer kläglichen Laterne vor dem Haus erhellte den Flur ungenügend. »Soll ich ein Streichholz anzünden?« fragte der Junge. Er riß das Streichholz an, hielt es hoch und betrachtete die Bilder. Er zeigte auf das Foto Rocco Rathgills. »Der Mann stieß mich.« Dann tippte sein kleiner Zeigefinger auf die Fotos der Orchard-Brüder. »Sie waren bei ihm.«
Ich hielt ihm Regertys Bild vor. »Diesen Mann hast du nicht gesehen?«
»Nein.«
»Auch nicht zu einer anderen Zeit?« Er schüttelte den Kopf. Die Streichholzflamme erreichte seine Fingerkuppen, Er blies die Flamme rasch aus. Ich fuhr ihm mit der Hand über den Kopf. »Danke dir, mein Junge! Wenn wir Rays Mörder fassen können, verdanken wir es dir.«
Der Boy riß ein zweites Streichholz an. Die Flamme spiegelte sich in seinen großen dunklen Augen. Von oben schrillte eine Frauenstimme durch das Treppenhaus. »Tommy! Tommy! Wo bist du?«
»Meine Mutter!« flüsterte er.
Ich wies auf das Foto, das Ray Brant und den schwarzhaarigen Jungen zeigte. »Kennst du den anderen, Tommy?«
»Jesse Giosa, Rays Freund. Er wohnt in der 141. Sie finden das Haus leicht. Im Erdgeschoß ist ’ne Schuhreparatur.« Er blies das Streichholz aus und huschte an mir vorbei die Treppe hinauf.
***
Kate Giosa betrat den Laden im Parterre des Hauses. »Entschuldigen Sie, Mr. Delware. Haben Sie meinen Bruder gesehen?« fragte sie den Besitzer.
Delware schauderte leicht, als er den Blick des Mädchens auf sich verspürte. Er kannte Kate schon seit vielen Jahren und wußte, daß das Mädchen nicht so eiskalt wie ihr Blick war. »Tut mir leid, Kate! Bei mir war er heute nicht«, sagte er hastig.
Das Mädchen seufzte.- »In einer halben Stunde kommt mein Vater von der Arbeit. Wenn Jesse dann nicht zu Hause ist, gibt es Krach.«
»Nichts gegen deinen Bruder, Kate, aber er treibt sich mit Burschen herum, die nichts taugen. Du weißt ja, welches Ende Ray Brant genommen hat.«
Kate verließ Mr. Delwares Schuhwerkstatt. Sie ging die spärlich beleuchtete 141. hinunter bis zur Kreuzung mit der Morris Avenue. Drei Jungs lungerten an der Ecke und pfiffen Kate an. Sie ging trotzdem zu ihnen und fragte nach Jesse. »Nimm mich, Mädchen«, lachte einer der Boys. »Ich passe besser auf dich auf als dein Bruder.« Als Kate ihn einmal kurz ansah, verstummte er sofort und ging hastig fort.
Kate entschloß sich, zum »Crazy Horse« zu laufen, obwohl Jesse es haßte, wenn die anderen Boys und Girls merkten, daß sie ihn suchte. Aber auch in der Kneipe war Jesse nicht. Resignierend trat Kate den Heimweg an. Ihr Vater war recht jähzornig. Sie hätte ihrem Bruder gern die Tracht Prügel erspart, die ihm jetzt sicher war.
***
Sam Sombrowsky zitterte. »Wie lange sollen wir noch warten?« flüsterte er. »Seit drei Stunden zwingen Sie mich, in diesem Auto zu sitzen.«
»Halt den Mund!« fuhr Rathgill ihn an. »Seit drei Stunden müssen wir die verdammte Mischung von Mottenpulver- und Knoblauchgeruch aushalten, die du verströmst.«
Der Wagen stand in der 141. Straße, dem Haus, in dem die Giosas wohnten, genau gegenüber. Rathgill hatte den Trödler aus seinem Laden geholt, damit ihm dieser Jesse Giosa zeigte. Er wollte nicht den falschen Boy erwischen. Schwarzhaarige und lederbejackte Jungs liefen in diesem Viertel zu Dutzenden herum. Sombrowsky kannte die Mitglieder der Giosa-Familie genau. Als ein Mädchen vor einer knappen Viertelstunde das Haus verließ, den Schuhladen für wenige Minuten besuchte und dann die Straße hinunterging,
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