Jerry Cotton - 0535 - Piratenfalle Miami
abzuschütteln. Sie hatten ihre Wohnungen verlassen und redeten wild durcheinander - verängstigte Menschen in Pyjamas und Morgenmänteln. Ich sagte ihnen, daß die Gefahr vorüber sei, und war froh, als ich endlich in meinem Flitzer saß.
Vivian Dorseys Luxusapartment lag in einem vornehmen Wohnhaus an der Fifth Avenue, unweit der St. Patricks Cathedral. In der Wohnung brannte noch Licht. Ich fand in der Kellergarage einen Parkplatz und fuhr mit dem Lift nach oben. Ich klingelte. Vivian Dorsey öffnete mir.
Ihr Kleid war sehr bunt, sehr kurz und sehr attraktiv. »Hallo!« sagte sie beschwingt. In ihren Augen war ein seltsames Leuchten. In der Wohnung spielte eine Stereoanlage. »Treten Sie ein! Ich gebe Ihrem Freund gerade eine Tanzlektion…«
Phil saß auf einem der Barhocker. Er sah recht vergnügt aus, wurde aber rasch ernst, als er meinen Anzug sah. Ich schaute an mir herab und entdeckte erst jetzt, daß die Explosion in Shures Wohnung an mir einige Spuren hinterlassen hatte.
Vivian kicherte. Das Kichern klang ein wenig irr und völlig unmotiviert. »Ich hole Ihnen eine Bürste«, sagte sie und ging hinaus. Sie kicherte in der Diele weiter. Ich trat rasch an Phil heran.
»Ich habe ein paar Gläschen mit ihr gekippt«, sagte er leise. »Sie kann nicht viel vertragen. Noch ein Whisky, und sie packt aus.«
Ich runzelte die Stirn. »Du vergißt, daß wir mit einer Aussage, die unter diesen Umständen zustande kommt, nichts anfangen können. Sie ist wertlos.«
»Nicht ganz«, meinte Phil. »Wir können damit zwar nicht zum District Attorney gehen, aber wir erfahren erst einmal die wichtigsten Zusammenhänge.«
Ich klopfte an meinem Anzug herum. »Shure ist tot. Zwei Burschen haben ihn in seine Wohnung gelegt und dann eine Sprengladung hochgehen lassen, die den Mord vertuschen sollte.«
»Darf ich Sie betreuen?« gurrte Vivian, die in diesem Moment mit einer Kleiderbürste zurückkam. Sie trat dicht vor mich hin und begann mich abzubürsten. Sie kicherte noch immer. »Ist es gut so?« erkundigte sie sich.
»An Ihnen ist eine brillante Ehefrau verlorengegangen«, sagte ich.
Vivians Kichern verstummte. Sie ließ die Hand mit der Bürste sinken. Ihre Lippen begannen zu zittern. Eine Sekunde lang sah es aus, als würde sie in Selbstmitleid zerfließen, aber dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. »Sie liegen um mindestens fünf Gläser zurück«, meinte sie und trat hinter den Tresen. »Was darf ich Ihnen einschenken?«
Ich schaute sie an.
Vivian erwiderte meinen Blick. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß sie gar nicht betrunken war. Nicht einmal beschwipst.
Ich parkte meine Unterarme auf dem Bartresen. Ein scharfer Duft stieg mir in die Nase. Ich senkte den Blick und sah ein Glas vor mir stehen, das zur Hälfte mit Pfefferminzlikör gefüllt war.
»Sind Sie ein Cremede-Menthe-Fan?« fragte ich Vivian.
»Brr!« machte sie und schüttelte den Kopf.
Ich fragte mich, wer das Zeug getrunken hatte. Vor allem dachte ich dabei an den intensiven Pfefferminzgeruch, den ich in dem gestohlenen Dodge wahrgenommen hatte.
»Geben Sie mir einen Kognak!« bat ich.
Vivian füllte einen bauchigen Kognakschwenker zu einem Drittel. Dann kam sie um die Bar herum und trat dicht vor mich hin. »Tanzen wir?« erkundigte sie sich mit rauchiger Stimme.
»Später«, sagte ich. »Erst möchte ich ein paar Fragen an Sie richten!«
Sie ging zur Couch und ließ sich mit untergezogenen Beinen darauf nieder. Ihr Whiskyglas behielt sie in der Hand. Unter langen Wimpern hervor musterte sie abwechselnd Phil und mich.
»Lester Shure ist tot«, sagte ich.
»Was Sie nicht sagen!« hauchte Vivian. Ihre Augen waren groß und rund - hübsche Kulleraugen ohne Überzeugungskraft.
»Er ging mitsamt einer Sprengladung in seiner Wohnung hoch. Aber ermordet wurde er an einem anderen Ort.«
»Warum erzählen Sie mir das?« wollte Vivian wissen. Der Glanz war noch immer in ihren Augen, nur wirkte er jetzt härter und metallischer.
»Sie haben ihn doch gekannt«, sagte ich lächelnd. »Ihm verdanken Sie den Kratzer unter Ihrem Auge, nicht wahr? Er hat versucht, Sie zu erpressen! Geben Sie es doch zu! Sie brauchen sich vor ihm nicht mehr zu fürchten. Er ist tot.«
Vivian Dorseys Blicke huschten hilflos durch den Raum. Dann blieben sie an meinem Freund hängen. »Helfen Sie mir doch, Phil!« sagte sie mit klagender Stimme. »Sie dürfen es nicht dulden, daß er mich quält! Ich habe nichts verbrochen! Ich kann nichts dafür, wenn Shure
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