Jerry Cotton - 0543 - Das Todeslied der Kapuzenmaenner
unterbrach Lazaro den geifernden Albino mit seiner sanften Stimme. »Und nun wirst du schnellstens verschwinden, Yama. Oder man wird dir die Leviten lesen. In einer halben Stunde hat der Salon bereit zu zu sein, wenn ich dich daran erinnern darf.«
Der Körper des Liliputaners hatte sich bei den Worten Capucines wie unter Stockschlägen zusammengezogen. Er senkte mit falscher Unterwürfigkeit seinen unförmigen Schädel und fragte mit einem hinterhältigen Ton in der Stimme: »Wird Mr. Shibell der Verhandlung beiwohnen?«
»Selbstverständlich!« antwortete Lazaro.
Der Gnom warf mir einen tückischen Seitenblick zu, dann hob er den Kopf und fragte lauernd: »Wissen Sie, was ein Femegericht ist; Mr. Shibell?« Yama kicherte und wandte sich ab, als erwarte er von mir gar keine Antwort. Er verschwand mit seltsamen hüpfenden Bewegungen hinter den Aufbauten.
»Ekelhaftes Subjekt!« stieß Lazaro angewidert aus. »Wenn er nicht der Schützling des Chefs wäre, würde ich ihn den Ratten zum Fraß vorwerfen.«
***
Es war ein makabres, groteskes Schauspiel. Beängstigend und beklemmend anzusehen. Sie betraten schweigend und unheilvoll den Salon und nahmen an den hufeisenförmig zusammengestellten Tischen Platz. Sie trugen schwarze wallende Talare. Ihre Gesichter waren hinter hohen steifen Kapuzen verdeckt. Hinter den Augenschlitzen sah man das kalte, gnadenlose Feuer unbarmherziger Augen glühen. Sie starrten abwartend aüf den noch leeren Stuhl inmitten des Raumes.
Sekunden unerträglichen Schweigens verstrichen Starr, und unbeweglich saßen sie da. Wie die Verkörperung einer unabwendbaren Gefahr.
Mir wurde heiß unter der ungewöhnlichen Verkleidung. Ich legte die feuchten Handflächen auf die blanke Tischplatte. Meine Fingerspitzen berührten die hölzerne Tafel mit der Nummer 8.
Ein feiner singender Ton unterbrach die lastende Stille. Von irgendwoher drang ein seltsamer Gesang in den Raum. Ich glaubte, die Stimme von Sandra Thorn zu erkennen, war dessen aber nicht sicher. Ein merkwürdiger Singsang. Ich konnte die Worte des Liedes nicht verstehen. Waren es überhaupt Worte?
Meine Gedanken wurden unterbrochen. Denn nun fielen auch die Kapuzenmänner summend ein. Erst leise, und es klang, als probe ein Gesangverein die ersten Töne eines neuen Liedes, dann immer lauter werdend. In meinen Ohren dröhnte es, als der Gesang der Kapuzenmänner den Raum bis in den letzten Winkel füllte. Wäre es nicht so ein makabres Spiel gewesen, ich hätte wahrscheinlich gelacht. So aber beschlich mich ein Gefühl des Unbehagens, das noch wuchs, als ich eine Textzeile zu verstehen glaubte: »… die Amsel pfeift ihr Todeslied…«
Abrupt brach das Lied der Kapuzenmänner ab. Wer waren sie überhaupt? Lazaro Capucine? Geraghty? Murray, der Kapitän der Carbonado? Und die anderen? Das Schweigen um mich herum lähmte meine Gedanken. Das Ritual war gespenstisch.
Ein Matrose hatte mir den Befehl überbracht, mich in den Salon zu begeben. Der Raum war leer gewesen, als ich ihn betreten hatte. Auf dem Tisch lag ein Talar mit einer Kapuze.
»Anziehen, Shibell!« hatte eine Stimme befohlen, die ihre Anweisung so schnell und bestimmt gegeben hatte, daß ich sie nicht erkannt hatte. Die Kapuzenmänner standen unbeweglich. Auch ich wagte es nicht, mich zu rühren.
Plötzlich erfüllte die Geisterstimme aus dem Scandia den Raum. »Ich sehe, das Gericht ist zusammengetreten. Ihnen ist bekannt, was dem ›Angeklagten‹ zur Last gelegt wird. Daß er nicht geständig ist, sollte das GJericht nicht davon abhalten, ein gerechtes Urteil zu finden. In den Taschen Ihrer Gewänder finden Sie zwei Kugeln: eine weiße und eine schwarze. Werfen Sie die weiße Kugel in die Urne, wenn Sie zu der Überzeugung gelangt sind, daß der ›Angeklagte‹ unschuldig ist. Entscheidet die Mehrzahl der schwarzen Kugeln, so hat der ›Angeklagte‹ sein Leben verwirkt. Dann ist er schuldig! Nummer drei, Sie werden den Vorsitz übernehmen.« Eine Sekunde endlosen Schweigens überschwemmte den Raum. Eine dunkle Vorahnung ergriff mich. Die Blicke aus tausend unsichtbaren Augen schienen mir bis in die Seele zu dringen.
Die Stimme hatte sich um den Hauch einer Nuance verändert. Sie klang akzentuierter, kühler und entbehrte der sonstigen Unpersönlichkeit. Das Blut in meinen Schläfen schien die Adern sprengen zu wollen.
»Nummer acht, Sie werden das gefällte Urteil vollstrecken! Der Zeitpunkt wird Ihnen noch bekanntgegeben.«
Ich versenkte meine Hand in die
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