Jerry Cotton - 0553 - Ein Toter wird ermordet
Daumen über die Schulter. »Nach der Tat war er hier. Sie haben ihn nicht gesehen?«
»Nein. Das ist auch nicht möglich. Er benutzt immer den hinteren Eingang.«
»Das Durcheinander im Büro — das hat Hatching angerichtet.«
»Ah, jetzt verstehe ich die Bemerkung vom Chef. Hat Ted ihn beklaut?«
»Es sieht so aus. Sie wissen nichts über ihn?«
Prüfend sah sie mich an.
»Vielleicht doch. Aber wenn ich Ihnen das sage, fliege ich hier ’raus.«
»Wieso?«
»Wenn Proof mit Hatching was abzumachen hat, dann besorgt er — ich meine Proof — das allein. Dann darf ihm niemand dazwischenfunken. Nicht einmal die Polizei.«
»Von dem, was Sie mir sagen, erfährt Proof nicht ein Wort.«
Sie lächelte. »Ich glaube Ihnen, Jerry. Sie sehen anders aus als die meisten Polizisten. Ich…« Sie stockte, sah an mir vorbei, und ihre Pupillen verengten sich. »Später, Jerry.«
Ich rührte mich nicht. Aber ich hörte, wie jemand hinter mir vorbeiging. Zwei Hocker entfernt lehnte Proof seine knochige Gestalt an die Theke. »Scotch«, schnarrte er, wobei er mich anstarrte. Sein Blick erinnerte an ein altes Krokodil, das reglos im Uferschlamm auf badende Kinder wartet.
»Kann man eigentlich einem Bullen Hausverbot geben?«
»Man kann«, sagte ich.
»Aber Sie würden es mir übelnehmen, Mister…«
»Durchaus nicht. Von einem Heroinsüchtigen am Rande des Schwachsinns erwarte ich kein normales Verhalten.« Eleonor hatte einen Drink vor ihn hingestellt. Seine Faust umspannte das dickwandige Glas. Die Knöchel traten weiß hervor. Ich wartete auf das Splittern. Aber nur die Eiswürfel klirrten.
»Wenn du das noch mal sagst, Schnüffler, haue ich dir dieses Glas in die Visage.«
»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun, Mr. Proof. Es würde Ihnen schlecht bekommen.«
Mein Glas war leer. Ich zog einen Schein aus der Tasche und legte ihn auf die Theke. »Vielen Dank, Miß King.« Ich zwinkerte ihr zu, was Proof nicht sehen konnte. Dann drehte ich mich um und verließ das Lokal.
***
Eisiger Wind fegte durch die Straßen. Ich saß im Chevy, rauchte und wartete. Eine Kirchturmuhr in der Nähe hatte vier geschlagen. Die letzten Gäste verließen das Don Quichotte. Zehn Minuten später kam Eleonor King.
Sie trug einen dunklen enggeschnittenen Mantel. Er wirkte zu leicht für die Jahreszeit. Vor dem Bareingang blieb sie stehen. Suchend wanderte ihr Blick umher. Im selben Augenblick erloschen die Neonbuchstaben über dem Eingang. Auch hinter den Fenstern wurde es dunkel.
Ich ließ die Scheinwerfer aufblitzen. Die Frau kapierte sofort. Sie kam zum Wagen. Von innen öffnete ich die rechte Vordertür. Eleonor stieg ein.
»Ich bin im Wagen geblieben«, sagte ich, »damit Proof mich nicht sieht. Es könnte ja sein, daß er Ihnen nachspioniert.«
»Ich rechne damit, Jerry.« Sie war müde. Sie fröstelte. »Kann ich eine Zigarette haben?«
Ich gab ihr auch Feuer.
»Bitte, Jerry, fahren Sie nicht an der Bar vorbei. Wenn Sie wenden und die Richtung zum Hudson nehmen, sind wir in zwei Minuten bei mir.«
Ich startete den Wagen. Eleonor führte mich. Sie wohnte in einem alten Apartmenthaus in der 174. Straße.
Ihr Apartment lag im ersten Stock.
Es war klein und gemütlich. Behagliche Polstermöbel und dicke, obschon billige Teppiche verwandelten das Zimmer in ein kuscheliges Nest. Auf der Bettcouch saßen fünf Teddybären. Dem größten fehlte ein Bein.
»Sind Sie einverstanden, wenn ich uns Kaffee koche, Jerry?«
»Nichts ist mir lieber als das.«
Sie kam sehr bald aus der kleinen Küche zurück. Der Kaffee duftete. Er war stark und schmeckte.
An einem kleinen Rauchtisch saßen wir uns gegenüber. Eleonor sah blaß aus. Aber sie wirkte entschlossen.
»Was ich tun werde, Jerry, nennt man im Gangsterjargon verpfeifen. Ich kann nur hoffen, daß Sie mich deswegen nicht für ein schäbiges Frauenzimmer halten. Denn ich will Ted Hatching verpfeifen.«
»Einen Mörder ausliefern ist kein Verpfeifen. Außerdem sind Sie nicht seine Komplicin.«
»Aber ich war seine Geliebte.«
Ich sagte nichts. Ich sah sie an.
»Ted«, sagte sie, »wirkt auf Frauen. Er weiß das. Er nutzt es aus. Er hat viele Tändeleien mit wohlhabenden Frauen, die nur seinetwegen ins Don Quichotte kommen. Als er mit mir anfing, ahnte ich nichts davon. Ich war sehr dumm. Ich hielt es für die große Liebe. Bis er mich dann nach einigen Wochen wie ein Papiertaschentuch wegwarf. Ich habe sehr gelitten.«
»Aber Sie sind darüber hinweggekommen.«
»Sehr
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