Jerry Cotton - 0559 - Die Hexendroge
von Seilstücken, die sie aus den mitgebrachten Nylonleinen zurechtgeschnitten hatten.
»Zähl sie!« befahl er Mac Walsh, dem finster blickenden Benjamin der Bande. »Es müssen wenigstens hundertzwanzig Stück sein. Pro Mann zwei Stricke. Einen für die Hände, einen für die Füße. Und denkt daran, daß ihr ihnen die Hände auf dem Rücken zusammenbindet! Das wird es ein bißchen schwieriger für sie machen.«
Stumm begann Walsh die Stricke zu zählen. Unterdessen öffnete Marik den Kofferraum des Buick. Ein Arsenal von Waffen kam zum Vorschein. Marik verteilte sie. Zum Schluß gab er die Gesichtsmasken aus. Dann sah er auf die Uhr.
»Na«, brummte er ungeduldig, »jetzt müßte Turner aber bald kommen…«
***
Die Sitzung hatte in den frühen Vormittagsstunden begonnen und endete kurz nach ein Uhr mittags. Das Ergebnis ließ sich mit einem einzigen Satz zusammenfassen: Es war niederschmetternd.
Allein in der Stadt New York mußte die Zahl der Rauschgiftsüchtigen rund einhunderttausend betragen. Nur wenige von ihnen kamen aus reichen oder wohlhabenden Familien, die anderen mußten betrügen und stehlen, um sich die Mittel zu beschaffen, durch die sie das Rauschgift erwerben konnten. Man schätzte die nur aus diesem Grunde ausgeführten Diebstähle täglich auf einen Gesamtwert von zehn Millionen Dollar! Einer der führenden Leute der Stadtpolizei sagte in seinem Referat: »Alles in allem kann die erschütternde Behauptung aufgestellt werden, daß New York auf dem besten Wege ist, ein Zentrum der Kriminalität zu werden, und zwar in einem Ausmaße, daß vermutlich nirgendwo auf der Welt überboten werden kann.«
Mein Freund und Berufskollege Phil Decker und ich hatten als offizielle Abgesandte des New Yorker FBI-Büros an dieser Sitzung teilgenommen. Als wir gegen Mittag zum Distriktgebäude: zurückgekehrt waren, hatten wir Mr. High Bericht erstattet und waren anschließend in der Nähe essen gegangen. Kaum kamen wir ins Office zurück, als das Telefon schrillte. Ich meldete mich.
»Ein anonymer Anruf, Jerry«, sagte Myrna Sanders, eine unserer Telefonistinnen. »Ich hätte ihn abgewimmelt, aber es scheint sich um eine vertrauliche Information über Rauschgift zu handeln.«
»Stellen Sie durch, Myrna«, bat ich. In der Leitung knackte es ein paarmal, dann hörte ich noch einmal Myrnas Stimme: »Bitte sprechen Sie!«
Jemand räusperte sich. Ich sagte: »FBI, Distrikt New York. Jerry Cotton.«
»Sind Sie ein G-man?« fragte eine: undeutliche, offenbar verstellte Männerstimme.
»Ja, ich bin Special Agent«, gab ich zu. »Oder auch G-man. Wie Sie es nennen wollen. Um was geht es?«
»Im Block zwischen der Siebenten und der Achten Avenue, in der 21. Straße, wird ein neues Rauschgift vertrieben. Wir vermuten, daß es aus irgendeiner Kneipe dort kommt. Kümmert euch darum, schließlich werdet ihr dafür bezahlt.«
Nach dieser lapidaren Feststellung hängte der Anrufer ein, bevor ich noch eine Frage stellen konnte. Ich griff nach meinem Block und notierte mir die angegebene Adresse. Phil sah neugierig von seinem Schreibtisch herüber. Ich sagte ihm, was ich gerade gehört hatte.
»Klingt ganz nach Konkurrenzneid«, sagte Phil. Aber er stand doch schon auf und angelte sich Hut und Mantel vom Garderobenhaken. »Und deswegen dürfte etwas dran sein, Jerry.«
»Möglich«, gab ich zu, während ich mir meinen Hut auf den Kopf stülpte. »Mich irritiert nur eins.«
»Nämlich?«
»Es war von einem neuen Rauschgift die Rede. Wer weiß da schon, was er sich da vorstellen soll? Etwas zum Schnupfen, zum Spritzen, zum Rauchen, zum Einnehmen?«
»Wir werden es schon herausfinden«, meinte Phil optimistisch.
Also brausten wir mit dem Jaguar in die 21. Straße, suchten einen Parkplatz und machten uns anschließend auf die Socken. Zuerst marschierten wir die 21. Straße zwischen der Siebenten und Achten Avenue auf der südlichen Seite entlang, dann wechselten wir zur nördlichen und kehrten dort zurück.
Unterwegs stießen wir auf einen jungen langhaarigen Burschen, der in einem Hauseingang herumlümmelte und eine Zigarette hinter dem linken Ohr stecken hatte. Es konnte ein Marihuanaverkäufer sein, aber der Junge sah mir zu clever aus, als daß ich mir viel Erfolg versprechen konnte. Wenn wir ihn anhielten, war die Zigarette hinter dem Ohr womöglich eine harmlose Chesterfield, und seine Marihuanavorräte trug er wahrscheinlich auch nicht in der Hosentasche mit sich herum. Außerdem wollten wir ja die Pferde in
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